Mittwoch, 26. Januar 2005

Kinderlos und Spaß dabei

soso, Herr Petropulos, der Sie in der gestrigen Ausgabe der FAZ das Ende der „Illusion der Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ proklamiert haben.

Alles geht also nicht, und nur eine Ganztagsmutter gewährleistet das Kindeswohl. Die karrieregeilen Teilzeitmütter der von Ihnen zitierten zwei von drei Kindern aus der Berliner Innenstadt, die nicht richtig deutsch können, sollen also mit einem „Erziehungsgehalt“ daheim bleiben, derweil der Vater (gleichwohl in dem Artikel kein einziges Mal erwähnt), hinaus ins feindliche Leben strebt, um dort die Karrieren zu machen, um die die pflichtvergessenen „Ganztagsbetreuungstfetischistinnen“ sich zu bemühen erdreisten.

Lassen Sie es sich ganz nebenbei von einer kinderlosen Endzwanzigerin gesagt sein, die mit oder ohne Erziehungsgehalt keinen Nerv auf die Ganztagsbetreuung kreischender Bälger hat: Einer Frau, die zehn Jahre in ihre Ausbildung investiert hat, könnt Ihr Kinderfreunde gar kein Betreuungsgehalt zahlen, das sich die Bundesrepublik auch nur annähernd leisten könnte. Die meisten Menschen, die einen komfortablen Beruf haben, gehen überdies unermesslich lieber ins Büro als auf den Spielplatz.

Es gehört ohnehin zu den großen Irrtümern dieser absurden Debatte um die mangelnde Fortpflanzungsbereitschaft der Deutschen, dass die Frauen liebend gern Kinder hätten, und allein die schlechte Welt mit zu wenig Betreuung oder zu wenig Geld schuld an der Kinderlosigkeit sei. Die Wahrheit ist: Kinder haben macht keinen Spaß. Punkt. Und denjenigen Müttern, die mir mit rotgeränderten Augen von dem Wahnsinnsgefühl erzählen, dass kleine Kinder vermitteln, glaube ich erst wieder, wenn sie sich weniger sehnsüchtig von langen Clubnächten und Abenden im Theater erzählen lassen.

Schlechte Bücher oder: Modeste hat nichts zum Lesen mehr

Irgendwer, vielleicht war´s Maxim Biller, hat zum Zustand der aktuellen jüngeren Literatur einmal ausgeführt, die Langweiligkeit der Bücher habe ihren Ursprung in der Langweiligkeit der Leben, die diejenigen führen, welche Literatur absondern. Aus der Provinz an die Uni, 13 Semester Germanistik, ein paar Schreibworkshops und dann ziehen alle nach Berlin.

Angesichts der Tatsache, dass das Leben Prousts oder Kafkas noch um einiges eintöniger gewesen sein muss, als das Leben, das Judith Hermann in meiner persönlichen Vorstellung führt, ist diese These vermutlich falsch. Die Langeweile, die die Bücher jüngerer deutscher Autoren schwitzen, hat ihre Ursache nicht in der Eintönigkeit der Schriftstellerleben, sondern in der Eintönigkeit ihrer Phantasie. Die Tatsache, dass alle diese Menschen, soweit ich ihre Elaborate gelesen habe, ein nicht sonderlich aufregendes Leben führen, sollte mit ihren Büchern eigentlich nicht viel zu tun haben. Was spricht eigentlich dagegen, sich etwas Grandioses auszudenken? Oder einen historischen Roman zu schreiben, der nicht so muffig riecht wie die Werke Robert Schneiders? (Herr Perutz – stehen Sie auf von den Toten...) - Oder was spricht dagegen, einfach vernünftig zu recherchieren und Geschichten zu erzählen, die großartige Geschichten sind?

Die traurigen jungen Autoren aber erzählen keine großartigen Geschichten. Statt dessen erzählen sie Geschichten, die fortwährend von ihnen selbst handeln, von ihren Gefühlen, von ihrer Weltsicht, also von vorne bis hinten von langweiligen jungen Menschen, die aus irgendwelchen Käffern in die große Stadt gezogen sind und an der Welt leiden. Gibt es einmal eine nennenswerte Handlung, so ist diese sowohl stark metaphorisch überladen als auch in hohem Grade unwahrscheinlich, vermutlich weil der unselige Grass in die verwirrten Gemüter einen Hang zu erzählerischen Extravaganzen gelegt hat, gerne mit sexuellem Einschlag. Ich interessiere mich nicht für zehn Pfennig für die negativen Gefühle, die Sybilles Bergs letzte Heldin ihren Mitmenschen im Zuge einer anschlagsbedingten Notstandssituation entgegenbringt. Und derjenige, der mir glaubhaft ein ehrliches literarisches Interesse an diesen Ereignissen darlegen kann, kann mein Exemplar gerne haben.

Natürlich spricht die relative Ereignislosigkeit eines Romans nicht im geringsten gegen denselben – das Leben in einem Lungensanatorium gehört nicht zu den unterhaltsamsten unter den denkbaren Existenzen. Von mir aus kann ein Buch von der Fliege an der Wand handeln – aber ich will mit der Fliege mitfiebern: Wird sie es schaffen? Oder wird die harte Hand des Schicksals in Form der Fliegenklatsche die zarte Unschuld doch dahinraffen? Ich verlange also in aller Schlichtheit ein gewisses Maß an Empathie. Und der Entwicklung dieser Empathie ist eine Sprache nicht förderlich, die es in meinem Leben nicht gibt, weil niemand so denkt oder spricht. Diese Tatsache muss nicht gegen eine Sprache sprechen, die eben besser als die Alltagssprache geeignet ist, bestimmte Gefühle, Stimmungen oder Situationen zu charakterisieren. Dies trifft auf die in der aktuellen Romanlandschaft verwandte Sprache allerdings nicht zu. Sie ist nicht besser, sondern in aller Regel schlechter geeignet, Dinge auszusprechen, die vielleicht auch deswegen so flach und unsinnlich daherkommen, dass der Tod nicht schreckenerregend und der Sex nicht lustvoll wirkt.

Mir ist völlig unklar, wie es zu diesen Texten in dieser Form und mit dieser Sprache kommt. Es erscheint mir nicht besonders wahrscheinlich, dass jugendliche Enthusiasten der Literatur in die Welt aufbrechen, um diese mit bedeutungsschwangeren, langweiligen Geschehensabläufen in abgehackten Sätzen und unsympathischem Personal zu bevölkern. Entweder schätzen diese Menschen an Büchern etwas völlig anderes als ich, oder es gibt Lehranstalten der Literatur, die ein anderes Erziehungsideal vermitteln, als ich es als Leserin goutiere. Als eine Person, die nie einen Literaturworkshop besucht hat, und weder mit dem Lesen noch mit dem Verfassen literarischer Texte in einem professionellen Zusammenhang steht, mag mir da was entgangen sein. Und der Kritik scheint´s ja zu gefallen. Aber trotzdem – wer schreibt Bücher für mich?


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