Freitag, 28. Januar 2005

Hymne auf den T.

„Modeste“, sagt der T., „ist dir nicht besonders ähnlich.“
„Ist mir mein linker Fuß ähnlich?“, frage ich zurück. Bloß keinen Streit anfangen, denke ich, und die frische Versöhnung gefährden.
„Nicht, wenn du die Pediküre noch länger rausschiebst. Aber überhaupt, Melancholie...,“ sagt der T. „Besser wäre vielleicht: Teilzeitdepressiver Neurosenstadl. Oder gleich: Hysterische Hinrichtungen.“
„Wen leg´ ich denn schon unters Fallbeil?“
„Das fragst du mich?“, T. wird lauter. „Ich komm doch ganz mies weg, ich schau doch aus wie eine ganz eitle Knallcharge. Danke.“
„Schreib´ dir ein eigenes Blog.“, schlage ich dem T. vor.
„Pfff...,“, macht der T. und wedelt ein wunderschönes Blog über den Tisch ins Nirvana.
„Du weißt doch, was du mir bist.“, sage ich und gieße das Nudelwasser ab.
„Dann schreib´ das auch mal.“, gibt mir der T. auf und stößt die Gabel wütend in die Spaghetti.

Also gut:

Wie ich den T. kennenlernte

Irgendwann um meinen zehnten Geburtstag herum beschlichen meinen Vater Sorgen bezüglich meiner Ausbildung. Im alternativen Schulprojekt war Goethe immer noch nicht vorgekommen. Und nach den Sommerferien sollte kein Lateinunterricht beginnen. Schwer wogen die Prinzipien, schwerer wog das Kindeswohl, und so schlich mein Vater heimlich und hinter dem Rücken seiner Kumpane zum ältesten Lehrinstitut der Stadt. Der Direktor, ein berufskatholischer Hüne, ließ ihn zappeln. Und mein Vater tat Abbitte für sich, seine Frau, aller beider Abstammung und das alternative Schulprojekt. Dann durfte ich einen Aufsatz schreiben, ein bißchen rechnen und ward schließlich Sextanerin. - Komischerweise blieb der Kulturschock aus, irgendwie hatte ich es nicht anders erwartet.

Der größere Teil der neuen Sextaner kannte sich von den Nonnen, denen man die Grundausbildung der Kinder anvertraut hatte. T. dagegen kam von der Waldorfschule, was den Patres nicht wesentlich weniger suspekt war als das Schulprojekt. Ob wir uns aus Notwehr anfreundeten oder aus tiefer innerer Verwandtschaft – wir saßen jahrelang nebeneinander. T. fragte mich Erdkunde ab und ich ihn Latein. Wir zelteten in Dänemark, wir stritten uns alle drei Tage und tanzten miteinander auf dem Abschlussball. Weil der T. Äonen schlauer ist als ich, ist sein Abi bombastisch, und meines so lala.

Warum der T. toll ist

Der T. ist nicht nur wesentlich intelligenter, als ich es auch nur für fünf Minuten simulieren kann – er verfügt über jene gediegene Bildung, um die mich zu bemühen ich zu faul war und bin. Bekleidungstechnisch besitzt er das Pendant zum absoluten Gehör: Er findet in jeder Boutique in kürzester Zeit die Kleidungsstücke, die man besitzen muss. Die Kleidungsstücke, die mir dann auch stehen und die ich tragen mag, gehören zwar selten dazu, aber meine besten Stücke im Schrank hat mir der T. aufgeschwatzt. Alleine hätte ich mich wegen Extravaganzverdacht nicht getraut.

Warum ich den T. mag

T. ist zuverlässig, wann er immer er es für erforderlich hält. Er kann überhaupt immer (außer vormittags) angerufen werden und kommt meistens sofort. Als einer der wenigen Bewohner dieser Stadt kann er hauchdünne Wiener Schnitzel braten und macht auf Ansagen und auf die niederträchtigste Weise jeden meiner Feinde nieder, den er auch nicht leiden kann. Und um mir den Ausstieg zu erleichtern, hat T. acht Tage lang nicht geraucht, wenn ich dabei war.

Was ich am T. nicht ausstehen kann...

...sage ich ihm selber.

Perle am Helmholtzplatz

Haben Sie eine Perle gefunden? Sie muss am Helmholtzplatz liegen. Man sieht sie bestimmt kaum, denn sie ist ziemlich klein und so weiß wie der Schnee. Ich habe gesucht, ich bin den ganzen Heimweg zurückgegangen, aber die Perle ist weg.

Eine Perle, sagen Sie, ist doch nicht die Welt? Auf der Welt gibt es so viele Perlen. Schau, sagen Sie, bei Wempe gibt´s Nachschub, und ein Schenker wird sich finden.

Ja, sage ich Ihnen. Perlen gibt´s genug, aber diese Perle hat mir der B. geschenkt, als ich 14 war, und es war das erstemal, dass mir ein Mann ein richtiges Erwachsenengeschenk gemacht hat.

Der B. hat schon studiert damals, und ich war noch nicht mal in der Oberstufe. Es war August, ich war bei meiner Großmutter zu Besuch, und habe mich redlich gelangweilt und den ganzen Tag gelesen. Meiner Großmutter hatte nur ziemlich langweilige Bücher, aber angesichts der Langeweile im großmütterlichen Haushalt war sogar Adalbert Stifter ziemlich spannend.

Meine Großmutter kannte einen Haufen anderer alter Damen, die alle ähnlich rochen. Sie besuchten sich alle gegenseitig reihum, und ich war zwei Wochen lang der einzige Mensch unter 70. Da saß ich dann herum, lächelte, trank Tee und hörte mir die Geschichten an, die die alten Damen erzählten.

Irgendwann brachte eine der alten Frauen ihren Enkel mit, auf den sie mächtig stolz war. Sie verkündete den Ruhm seiner Sportlichkeit, seiner Intelligenz, seiner brillanten Studienleistungen, und der B. stand blond und etwas geniert neben ihr.

Vermutlich war es meine einzige Möglichkeit in meiner früheren Jugend, überhaupt von einem Mann angesprochen zu werden: Als einziges Mädchen unter lauter alten Frauen. Der B. setzte sich also neben mich und sprach fast ganz allein. Das war auch gut so: ich hätte keinen Ton herausgebracht. „Verabredet´s euch doch.“, sagte seine Großmutter, der der mangelnde Unterhaltungswert der großmütterlichen Sommerfrische wohl dunkel bewusst war. Und so gingen wir am nächsten Tag schwimmen, dann radfahren, und am dritten Tag war ich so entspannt, dass ich sogar in zusammenhängenden Sätzen mit ihm sprechen konnte.

B. las mir vor, er machte mir sogar ein paar Komplimente. Auf dem Weg zum See nahm er meine Hand, damit ich nicht stolpern würde, und ließ sie auch nicht los, als wir am See lagen und keine Stolpergefahr mehr bestand. Wir haben uns ein paar Mal geküsst, und ich erinnere mich an den Geruch von Wasser und Gras, als wir an einem verregneten Tag die einzigen waren am See. Dann musste der B. wieder fort, und ich langweilte mich noch mehr bei meiner Großmutter und den alten Damen, dem Tee und dem See, in dem alleine zu baden keine Freude war.

An meinem Geburtstag war der B. wieder da. Er aß mit mir und der Großmutter Torte, Hand in Hand umwanderten wir den See und küssten uns, wenn keiner zusah. Als er abends fuhr, steckte er mir das Schmuckkästchen in die Tasche.

Den Brief, der dabei war, habe ich lange nicht mehr. Die Großmutter ist tot, das Haus am See verkauft, und was der B. heute macht, weiß ich nicht und werde es nicht erfahren. Die Perlenohrstecker blieben bei mir. Mir den Jahren wurden die Verschlüsse locker, ich bekam anderen Schmuck, und trug die Perlen selten.

Manchmal, wenn ich nach Schmuck suchte, gerieten mir die Perlen zwischen die Finger. An den B. dachte ich selten dabei. Aber heute Nacht, wo die Perle am Helmholtzplatz liegt, tut es mir leid um den B., der nichts verlangte, nichts versprach und keinen Schmerz hinterließ, als ich nichts mehr von ihm hörte.


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