Freitag, 1. April 2005

Die Eheanbahnung und ich

Was diejenigen Menschen, die wir unsere Freunde nennen, tatsächlich von uns denken, erfahren wir lebendigen Leibes und körperlich anwesend nur sehr selten. Einer der wenigen Momente, in denen die lästigen Fransen der Wahrheit uns durchs Gesicht fahren, ereignen sich aber dann, wenn wir uns auf einmal ohne einen festen Partner wiederfinden, und sodann diejenigen, die es gut mit uns meinen, von der Unerträglichkeit dieses Zustands ausgehen und versuchen, uns zu helfen.

Die himmelschreiende Auswahl jener Herren, die von denjenigen Menschen, die eigentlich nur das Beste von uns denken sollte, als passend und akzeptabel erachtet werden, lässt diesbezüglich tief blicken: Meine Freunde halten mich wahlweise für irre oder für schwer vermittelbar, und es liegt nun an jedem selbst, zu wählen, welche dieser Alternativen er für die weniger grauenhafte hält, zumal natürlich auch eine Kombination aus beiden Negativa nicht vollkommen unglaubwürdig erscheint.

Wie anders denn soll man jenen Herrn deuten, den ich vor nicht allzu langer Zeit am Tisch einer lieben Freundin vorfand! Vier Paare waren geladen und saßen nebst den Gastgebern an einer langen Tafel in Schöneberg, und außer diesen fünf Beispielen wahrhaftigen ehelichen bzw. vorehelichen Glücks waren zwei unfreiwillige Kandidaten zur Aufnahme in jenen Orden anwesend, ein Bundesbruder des Hausherrn nämlich, und ich.

Mein Tischherr schritt noch vor der Suppe zur Einleitung einer ernsthaften und geistreichen Unterhaltung. Die Preußen, so mein vierschrötiger Nachbar, seien die Römer die 19. Jahrhunderts gewesen, die Franzosen jedoch die Hellenen, und die Aufgabe dieser vorteilhaften Position bilde das moralischer Versagen Deutschlands. Dann prostete er mir zu und versuchte mich mit ein paar kommerserprobten Scherzen zu amüsieren. Mechanisch hob ich das Glas.

Ich war und bin mir ziemlich sicher, dass diejenigen Ereignisse, die meinem Tischherrn und mir als Paradigmata jenes erwähnten moralischen Versagens durch den Kopf gingen, keineswegs dieselben gewesen sein können, aber der Mann war in der Lage, auf diese erstaunliche Äußerung noch einmal kräftig draufzulegen. Nach meiner Erlösung von dieser befremdlichen Gesellschaft, ein Filet Wellington, anderthalb Bratäpfel und Stunden des gemütlichen Beisammenseins beim Wein später, blieben die Hausherrin und ich im Wohnzimmer zurück. „Was hältst du von ihm?“, fragte mich die Freundin, während sie – die das Rauchen dem Gatten zuliebe aufgegeben zu haben behauptet - an einer meiner Zigaretten zog. Um jedweden weiteren Versuchen der Eheanbahnung von vornherein den Boden zu entziehen, antwortete ich in schonungsloser Offenheit. Die Freundin war enttäuscht. „Ihr habt euch doch so gut unterhalten.“, meinte sie. Und dass man auch nicht zu anspruchsvoll sein dürfe, denn jener Bundesbruder ihres Mannes sei ein netter Kerl, höflich, aus gutem Hause und versehen mit den allerbesten beruflichen wie privaten Referenzen. Ich lehnte dankend ab, und der feine Rauch meiner Undankbarkeit kräuselte sich unter der Decke.

Anders schlimm, aber um nichts weniger gräßlich war auch jener Zusammenprall mit dem Bruder eines Bekannten, der neben jenem erschien, als wir vor einigen Monaten ein Lichtspielhaus aufsuchten, um den zu recht gelobten Film „Muxmäuschenstill“ zu betrachten. Der ungefähr 35 Jahre alte, ziemlich kahlköpfige und sehr stille Mann hatte vor einigen Monaten gerade eine schwere berufliche Enttäuschung durchlebt und war im Anschluss an diese Erfahrung auch gleich seiner langjährigen Freundin verlustig gegangen. Er sprach den ganzen Abend über kaum, nicht beim Verlassen des Kinos, nicht beim Tee im „November“, und auch die Fortsetzung des Abends in einer gastfreundlichen Wohnung in der nahegelegenen Rykestraße vermochte sein Schweigen nicht zu überwinden.

Ein paar Tage später rief der Bekannte mich an, sprach ein wenig über den Film, ein wenig über das schwere Los seines Bruders, und erwähnte, dass jener trübselig, gebeutelt von Arbeitslosigkeit und Einsamkeit, ein wenig Aufmunterung gut gebrauchen könnte, eine Verabredung mit einer munteren Person wie mir werde daher bestimmt auf offene Ohren stoßen. Ich müsse ihn einfach einmal anrufen. „Ich bin nicht die amouröse Resteverwertung von Berlin.“, sprach ich zu ihm, und legte abrupt auf.

Inzwischen, Monate sind ins Land gegangen, gelte ich in nahestehenden Kreisen vermutlich als ein wenig zickig und mit einem überbordenden Anspruchsdenken versehen. Die Predigten, wonach es mit zunehmenden Alter mangels Gelegenheit und hochqualitativem Vorkommen sehr schwierig werde, noch alleinstehende Herren zu erlegen, fangen langsam an, zu versiegen. Die zufällig und unangekündigt auftauchenden Herren werden seltener. Nur noch gelegentlich werden mir Durchreisende angepriesen, oder versucht, mich in fernliegende Regionen zu locken, um dort auf Geburtstagen oder Examensfeiern auf besonders gute Freunde der Gastgeber zu stoßen, die ja auch schon so lange allein seien.

Was dieses Versiegen der freundschaftlichen Eheanbahnungsversuche über das Bild, welches gute Freunde von mir hegen, aussagt, will ich gar nicht wissen.


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