Montag, 4. April 2005

Das Haustier des Schreckens

Das Fräulein Modeste, so erzählt man sich, sei ja eine geradezu tragische Zeiterscheinung, verantwortungslos, faul, verwöhnt und überhaupt ein rechter Nichtsnutz auf den schmutzigen Weiden der Hauptstadt. Um der Wahrheit die Ehre zu geben und damit dieses ganz und gar unzutreffende Bild zu berichtigen, möchte ich aber an dieser Stelle auf einige ausgewählte Pflichten hinweisen, denen mein mühsamer Alltag unterliegt, und von denen Nachbars Katze nicht die geringste darstellt.

Einzuräumen ist immerhin, dass es auch mit der Ernährung der Katze um ein Haar nicht hingehauen hätte. Ich wollte nach Hamburg, die Nachbarn wollten in ein fremdes Land, dessen Name mir gerade entfallen ist, und die Koinzidenz beider Termine hatte ich einige Tage lang vergessen. Immerhin, als die Nachbarin mit dem Schlüssel vor der Tür stand, wusste ich gleich, was die Stunden geschlagen hatte, und verschob den Besuch hinter dem Rücken der Katzenhalter unauffällig und schnell um zwei Wochen. Niemals werden also die Nachbarn erfahren, wie nah ihr flauschiger Liebling dem Hungertod entkommen ist. Gedankt hat es das undankbare Vieh mir selbstverständlich nicht die Bohne.

Allmorgendlich, und allabendlich dazu, betrete ich also der Nachbarn Wohnung, fülle die Wasserschüsseln, schütte einige Brocken Katzentrockenfutter in die Näpfe, und kümmere ich um die feliden Sanitäreinrichtungen. Vor der offenen Balkontüre sitzt die schildpattgefleckte, ziemlich langhaarige Katze, sieht mir aufmerksam zu und dehnt und streckt sich in der Sonne. „Servus, Modeste!“, schnurrt die Katze, wenn ich sie richtig verstanden habe. „Das Futter bitte etwas mehr ans Fenster, und wenn sie mir den gefiederten Ball dort herüberrollen könnten?“ Dann wendet sich die Katze wieder ab, und ich mache mich davon.

Auf ungefähr dieser Basis verlief das Zusammenspiel mit der Katze einige recht ruhige Tage. Heute morgen jedoch, ich war noch ein wenig müde, erwachte die Katze aus ihrer vormittagslichtbeglänzten Trägheit auf einmal in just dem Moment, als ich die Wohnung verlassen wollte. Ich öffnete die Wohnungstür, die Katze stand auf einmal auf allen vier Pfoten, und bevor ich mich recht versah war sie an meinen Hosenbeinen vorbei, durch die Tür und schon im Treppenhaus. Ein schildpattgefleckter Blitz fuhr die Treppe herab, eine träge Masse in Jeans und Schlappen stolperte auf rotem Sisal hinterher, und versuchte, der vermaledeiten Katze ansichtig zu werden. Vergeblich.

Im Erdgeschoss angekommen gähnte die Haustür zur Straße. Immerhin lag kein plattgefahrenes Fellbüschel auf der Fahrbahn, aber eine tote Katze und eine endgültig abhandengekommene Katze, so war mir klar, würde den Nachbarn ungefähr gleich schwer zu vermitteln sein. Die Nachbarin würde weinen, der Nachbar würde nur schwer seinen Zorn beherrschen können, und als Katzenmörderin würde ich verfemt im ganzen Kiez. Wegziehen würde ich müssen.

Im Keller war keine Katze. Keine nachbarlichen Türen standen offen, keine Katze schnurrte im Hinterhof. Zwischen den Mülltonnen saß kein Häufchen Fell, und deprimiert stieg ich wieder hoch in die eigene Wohnung, um mit einem Tütchen Katzentreets wiederzukehren. Keine Katze ließ sich blicken.

Händeringend zurückgekehrt in die eigenen vier Wände, fertigte ich einen Aushang, dem das Verschwinden der Katze zu entnehmen war. Man möge mich schnellstens benachrichtigen. Mangels Katze blieb jede Benachrichtigung aus.

Schließlich, Stunden später, verließ ich das Haus, um in Fett und Zucker Trost für das Abhandenkommen des Schützlings zu finden. Die eigentlich geplanten Maßnahmen des zeitlich begrenzten Verzichts auf extrem fetthaltige Nahrung zwecks Figurverbesserung anlässlich der Spreeblicklesung sind also an einem widerspenstigen Feliden gescheitert, und wer sich am Donnerstag über meinen Bauch amüsieren möchte, dem sei gesagt: Nur die Katze ist schuld. Und es war Absicht.

Und wenn Sie fragen, welche Absicht die Katze in Bezug auf meinem Körper in meinem Abendkleid am Donnerstag haben soll, dann kann ich Ihnen auch keine Antwort geben, denn dunkel und unklar ist das tierische Gefühlsleben für uns Menschen. Dass genau dies aber Wunsch und Wille des felligen Zeitgenossen war - das geht natürlich klar aus der Tatsache hervor, dass die Katze, sonnenwarm und maunzend, um meine Beine strich, als ich das Treppenhaus emporstieg. Vom Fensterbrett im dritten Stock träge herabspringend, folgte mir die Katze in die Wohnung.


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