Freitag, 13. Mai 2005

Kampf der Giganten

„Das Tollste hast du ja noch gar nicht gehört.“, sagt die C. Ihr Bruder werde heiraten. „Ich dachte, der kennt gar keine Frauen?“, frage ich nach, und schaufele mir ziemlich viel Zucker in den Tee. „Hat er im Studium kennengelernt.“, sagt die C. Eine Beziehung habe zum Zeitpunkt des gemeinsamen Studiums ihres Bruders und seiner Braut indes nie bestanden. „Ich heirate ja verhältnismäßig selten Leute, nur weil die in meinem Semester waren.“, antworte ich, und harre der Dinge, die da kommen sollen.

Über der C. jüngeren Bruder erzählt man sich ohnehin einiges, was auf einen eher ungewöhnlichen Geisteszustand des jungen Mannes schließen lässt. Was, zum Beispiel, so fragt sich der geneigte Zuhörer, soll man auch über einen Menschen denken, der die Person seines eigenen Arbeitgebers hartnäckig und über Monate der Familie verschweigt, aus Angst, die zu peinvollen Aktionen keinesfalls neigende Mutter riefe im Büro an? Oder Mutter und Schwester auf fremden Straßen bei einem gemeinsamen Ausflug abrupt und für mehrere Stunden stehen lässt, ohne seinen Verbleib nach seiner Wiederkehr geraume Zeit später in irgendeiner Weise zu erläutern? Eine Heirat jedenfalls, so war den vormaligen Erzählungen meiner lieben C. zu entnehmen, schien der Familie schon aufgrund der Tatsache ausgeschlossen, dass festere Bindungen zu den Mitgliedern des weiblichen Geschlechts in der nunmehr auch schon fast drei Jahrzehnte währenden Vergangenheit des jungen Mannes offenbar zu keinem Zeitpunkt bestanden.

„Wie kommt denn die Frau dazu, deinen Bruder zu heiraten, wenn die beiden nicht mal zusammen sind?“, frage ich, und bestelle angesichts der Kälte eine weitere heiße Schokolade und Kuchen. Weitere Gewichtszunahmen, so beschließe ich bei mir, sind angesichts der Wollpullover, die dieses Jahr anscheinend ganzjährig getragen werden, auch egal.

Die Dame, so erzählt C. mir, sei eine charmante Studentin gewesen, gebürtig aus fernen Landen, und nach beendeter Ausbildung in jene fernen Lande auch wieder entschwunden. Mit sich genommen habe sie, wie man es eben so macht, diverse E-Mailadressen diverser Kommilitonen, und unter jenen sei eben ihr Bruder derjenige gewesen, der am häufigsten geantwortet habe, dann habe man telephoniert, sich per Telephon verliebt, und am Ende beschlossen, auf der Stelle einander auf ewig anzugehören.

„Das geht ja fix.“, sage ich, und überlege ein bißchen, wie viele Jahre mein letzter spontaner Entschluss überhaupt her ist, und versenke das Ergebnis schleunigst auf dem Grund einer dicken, süßen Schokolade. „Die wird sich noch umschauen.“, meint C., und es klingt fast ein wenig schadenfroh. „Hört sich doch ganz romantisch an.“, meine ich, während C. in aller Ausführlichkeit die Unfähigkeit ihres Bruders, mit überhaupt irgend jemand zusammenzuleben, schildert. Es hört sich nicht gut an.

„Wann soll das große Ereignis denn stattfinde?“, frage ich nach, und C. erzählt irgendwas von „in zwei Wochen“. Der Flug sei gebucht, die Studentin habe ihre beweglichen Besitztümer in ein paar Kisten gepackt, ihren Job gekündigt, und ihren Eltern von der bevorstehenden Hochzeit erzählt.

„Was sagt denn deine Mutter?“, erkundige ich mich. C. verdreht ein bißchen die Augen und zieht die linke Augenbraue hoch: „Hat den Flug auch schon gebucht, und will meinen Bruder retten.“ „Nicht schlecht.“, sage ich. „Kampf um die arme Seele.“

„Könnte unterhaltsam werden.“, meint C., und blättert ein bißchen in der Karte. Mangels Urlaub sei ein Besuch ihrerseits als Schlachtenbummlerin leider so gut wie ausgeschlossen.


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