Dienstag, 7. Juni 2005

Schlüssel

"Modeste,", sagt die Mitbewohnerhin, und ich schleiche mich leise aus dem Saal. "Hast du den Briefkastenschlüssel mitgenommen?" - Oje, denke ich, und versuche mich zu erinnern, wo der eine und einzige Schlüssel sich befinden mag. "Ich rufe dich zurück!", zische ich, und husche wieder u meinem Platz.

Ein paar Stunden später steht zumindest fest, dass sich in meinem bescheidenen Reisegepäck kein Schlüssel befindet. Der Orte daheim, wo jener sich befinden könnte, sind derweilen Legion. Hostentaschen? Handtaschen? Möglicherweise sogar irgendein Etui? - Die Anfragen der Mitbewohnerhin werden zunehmend nervös, denn wichtige Post wird erwartet. "J. kümmert sich drum.", verspreche ich, und teile dem geschätzten ehemaligen Gefährten, dem besten Kenner meiner Häuslichkeit das Problem mit. Er werde sich kümmern, verspricht der Geschätzte. Aufatmend vergesse ich Schlüssel und Mitbewohnerin und starre von meinem Platz aus abwechselnd auf die Referenten wie auf die geradezu beängstigend naturbelassene Umwelt. Meine Naturliebe, so fällt mir auf, hält sich offenbar in engen Grenzen.

"Dein Schlüssel ist nicht da.", summt spät am Abend das Telephon. Verdammt, denke ich. Mag der geschätzte ehemalige Gefährte auch nicht in jeden denkbaren Aufenthaltsort kleiner Gegenstände vorgedrungen sein - Orte, die er nicht kennt, entziehen sich vermutlich auch meinem Erinnerungsvermögen.

Ein paar hundert Kilometer entfernt vom Ende der Welt füllt sich gerade ein weißer Briefkasten mit ungeheuerlichen Mengen Papier, wichtigen Dokumenten, und der kleine, keine zwei Centimeter lange Schlüssel wird heute Nacht wohl meine Träume beherrschen.

Auf dem Heimweg

"Schlaf gut.", sage ich, ungefähr zum drittenmal, und ziehe die Jacke enger um den Körper, denn es ist kalt. "Ich muss dann auch mal ins Bett.", sagt er, erheblich später, und wir sprechen weiter. "Letzte Zigarette?", frage ich, und schaue an ihm vorbei irgendwo auf das Wasser, das hinter seiner Schulter kalt und dunkel glitzert.

"Ich muss jetzt schlafen.", sage ich am Ende, und drehe mich um und gehe. Vor der Tür sehe ich, meinen Schlüssel in der Hand, ihn noch einmal stehenbleiben.

Dann schließt sich hinter mir die Tür.

:::

"Schläfst du schon?", frage ich, und am anderen Ende der Leitung lacht der J². "Jetzt nicht mehr.", kommt es zurück, und ich beklage mich ein bißchen über das Ende der Welt. "Dir kann man´s auch nicht recht machen.", sagt er, und hat - wie immer - recht.


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