Donnerstag, 23. Juni 2005

Die B. als Sommerfeindin

„Der Sommer kotzt mich an.“, stellt die B. fest, und deutet missmutig auf die anderen Menschen, die ihre Körperlichkeit im Weinbergspark entblößen. „Sollten sich nur schöne Menschen ausziehen?“, frage ich ein wenig besorgt zurück, und stelle mir vor, wie es sich unter einem schwarzen Hijab lebt, wenn die Temperaturen deutlich über 25° C steigen. „Mir doch egal, wie die anderen aussehen.“, murmelt die B. zurück, und versucht, den Bauch einzuziehen.

„Geht doch alles.“, beruhige ich die B., und reibe mir ein wenig Sonnencreme auf die Schultern. Um die stämmige, dunkelblonde B. ein wenig zu beruhigen, schildere ich ausführlich, wie es sich anfühlt, fünf Tage lang neben der bei gleicher Größe zwei Kleidergrößen kleiner bekleideten, aparten und eleganten C. über die Straßen des Baltikums zu flanieren. „Hör doch auf.“, unterbricht die B., und schlägt ihr Buch auf und gleich wieder zu.

„Findet doch alles seine Freunde.“, beschwichtige ich, und erwähne die Topf-und-Deckel-Theorie, nach der jegliche menschliche innere wie äußere Beschaffenheit Anhänger findet, mancher nur die Blondinen liebt, und ein anderer üppige Brasilianerinnen, der eine stille, belesene Damen verehrt, oder eine Schwäche für lautes Lachen und Sommersprossen hegt. „Du hast gut reden.“, sagt die B., und steht einfach auf. „Geht so.“, sage ich, aber da ist B. schon fast auf der Invalidenstraße, und lässt mich einfach sitzen im Park.

Rausch der Abwesenheit

In sauberer, morgenfrischer Kühle nach Schönefeld. Die Stadt entschwinden zu sehen, und sich schließlich verlieren zwischen den fremden Häusern. Durch die geputzte, blanke Altstadt von Riga, und ein bißchen bedauern, dass es die Melancholie des Verfalls zwischen den alten Mauern dahingerissen hat. Rechts und links laufen blonde, schlanke Menschen mit entschlossenem Gesichtsausdruck einer Zukunft entgegen, die nicht gesäumt sein mag von der Melancholie des Absinkens in Sepia und einem verschwimmenden Türkis. Bei einem Vorstadtbäcker Piroggen kaufen, und in einem beiläufigen, fremden Park auf einer Parkbank sitzen und den Schwänen zuschauen: Rausch des Reisens, der nicht von der Neuheit lebt, nicht von der Sensation der Eindrücke, sondern von der schieren Abwesenheit. Urlaub von sich selbst.

Neugierde mag andere treiben, aber so grandios ist es ja nicht, vor der Akropolis zu stehen, oder neben den Pyramiden. So anders ist auch die Altstadt Rigas nicht, und auch den Jugendstil hat man in Brüssel üppiger ranken gesehen oder in Wien. Großartig ist nicht die Neuheit. Großartig ist die Abwesenheit vom eigenen Leben: Sich in der Gepäckablage deponieren, die Schwere des festgefügten Lebens auf Tage oder Wochen verlassen, und der Welt abhandenkommen. Träges, seliges Fließen. Eine Fremde auf einer Parkbank oder wartend an einer Bushaltestelle in einem Vorort einer fremden Stadt. Ein winziger, sich bewegender Punkt auf einer Landstraße zwischen Wäldern. Es über den Wiesen summen hören auf dem Weg zu einem längst verlassenen Herrensitz. Am Strand ein paar russischen Buben beim Ballspiel zuschauen, und mit der Freundin über Dostojevski sprechen mit langen Pausen, in denen die Wellen sacht den Strand erreichen.

Man überlässt sich der Fremde, denkt selten nur und flüchtig an die komplizierten Fäden und Muster, in die man eingesponnen sein mag, und die in aller Erwünschtheit halten: Saiten, auf denen man spielen muss. Lose nun hängen die Bandagen des Lebens rechts und links herab. Möge man immer so fahren, denkt man. Flüchtiges, schillerndes Öl auf den Wassern fremden Seins. Willenlos, dahinfahrend und gleitend und ohne Ziel.

Warm umspielt die Sonne die Haut und neckt liebevoll die Wange mit dem eigenen Haar.


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