Zwei interessante Versuche, Nietzsche zu heilen
Nicht nur der gebildeten Welt ist der Zusammenbruch Friedrich Nietzsches 1889 in Turin ein Begriff, als der Prophet des vital ausschreitenden, mitleidlos überlegenen Heros mitten in der Stadt von Mitgefühl für die geschundene Kreatur übermannt wurde, und auf der Stelle einen Droschkengaul umarmte. Kann man also mit einigem Recht behaupten, dass das Misstrauen Nietzsches gegenüber dem Mitleid zumindest in seinem besonderen Fall einige Berechtigung besaß - verschwand der Genannte doch nach diesem Vorfall bis zu seinem Tode in Sphären des Wahnsinns, die man sich doch als einigermaßen unangenehm vorstellt - so ist es auf der anderen Seite auch nicht von der Hand zu weisen, dass angesichts der offenbar überwältigenden Macht des Mitleids für die gequälte Kreatur auch Widersacher Schopenhauer irgendwie recht behalten haben dürfte; indes verstehe ich nicht viel von diesen Dingen, über die sich Berufenere äußern mögen und es zweifellos auch tun.
Weniger bekannt als der Zusammenbruch des Philosophen und sein anschließender Aufenthalt in einschlägigen Klinika - und sodann in der Obhut von Mutter und Schwester - sind indes zwei sehr interessante Versuche, den Philosophen von seiner Geisteskrankheit zu heilen, über deren Natur, wie man weiß, die Wissenschaft, bis heute uneinig ist, und gerade vor diesem Hintergrund mag man es als äußerst bedauerlich bezeichnen, dass keiner der beiden Versuche über das Stadium allgemeiner Planung hinausging.
Gespräche mit Herrn Langbehn
Julius Langbehn erfreut sich vor dem Hintergrund einer seit der letzten Jahrhundertwende doch deutlich gesunkenen Hochachtung vor der deutschen Nation als Quell einer erdhaften, ebenso gesunden wie ursprünglichen Erlösung von den Übeln der Moderne selbst in Fachkreisen ja keiner besonderen Beliebtheit mehr. Auf dem Höhepunkt seines Ruhms jedoch, irgendwann in den Neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts, waren große Teile der deutschen Bevölkerung überzeugt von den Thesen des Verfassers von „Rembrandt als Erzieher“, die Rettung der Deutschen sei allein aus einer Rückbesinnung auf die kerngesunde Vergangenheit zu schöpfen, in der die derbe, kräftige und aufrichtige Natur der Deutschen noch ungebrochen durch spätere Einflüsse bestanden habe, und inmitten von überfeinerter Dekadenz seien die auf diese Weise genesenen Deutschen dazu bestimmt, mindestens über Europa zu herrschen.
Wie auch immer, die deutsche Nation fühlte sich verstanden, und möglicherweise hätte nach dem Erscheinen des Werkes, dem Herrn Langbehn seinen - wenn auch zeitlichen - Ruhm verdanken sollte, Nietzsches Mutter sich dem Anerbieten Langbehns nicht in der selben Weise verschlossen, wie dies der Fall war, als kurze Zeit nach der Erkrankung und eben noch vor Erscheinen des Rembrandtbuches, Langbehn anreiste und sich an sie wandte mit dem Ansinnen, ihm die Vormundschaft für den Kranken zu übertragen. Er werde ihn durch Gespräche heilen. In Anbetracht der Tatsache, dass sich bereits der gesunde Nietzsche einer Annäherung seines Bewunderers Langbehn widersetzt hatte, sicherlich nicht gerade die naheliegendste Idee, und so schob der Theologe Franz Overbeck weiteren Vorstößen Langbehns entsprechend einen energischen Riegel vor, so dass es Langbehn nicht gelang, die Heilkraft seiner Konversation über die Gesundung der Moderne durch die Kraft der Nation an Friedrich Nietzsche auszuprobieren.
Alfred Schulers korybantische Tänze
Ob der 1923 verstorbene Münchener Kosmiker Alfred Schuler den Vorstellungen des letztgenannten Herrn an eine kerngesunde deutsche Persönlichkeit voll und ganz entsprochen hätte, darf man insgesamt wohl als durchaus zweifelhaft beurteilen. Der Münchener Privatgelehrte, der 1899 bis 1904 mit Ludwig Klages, Karl Wolfskehl, Ludwig Derleth und Stefan George selbst den Kern des Münchener Kosmiker-Kreises bildete, war der Vergangenheit zwar nicht abgeneigt, hielt sich jedoch nicht für einen „Rembrandt-Deutschen“, sondern für die Reinkarnation eines antiken Römers, und war offenbar auch in der Lage, diese Annahme auch einem größeren Publikum im Rahmen von Vorträgen gegenüber glaubhaft zu machen. Die ebenso opulente wie blutrünstige Gedankenwelt jenes Herrn, der die Rettung der Menschheit durch wenige Auserwählte erwartete, denen ein besonderes Fluidum - die Blutleuchte eben - zu eigen sei, verdient allerdings eine eigene Darstellung, die an dieser Stelle weder geleistet werden kann noch soll, und so ist Ihnen, geschätzter Leser, nur zu raten, sich selber den 1940 von Ludwig Klages herausgegebenen Nachlass zu besorgen, und mit dem Werk jenes Herrn einige ebenso irritierende wie angenehme Stunden zu verbringen.
Die ursprüngliche, durch keine moderne Verwässerung von den Quellen vitaler Kraft hinweggespülte Grausamkeit, die als eines der Hauptmerkmale der Blutleuchte eine prominente Rolle im Denkgebäude dieses Herrn spielt, sollte auch bei der Heilung des umnachteten Nietzsche zum Einsatz kommen. Zwar war nicht daran gedacht, den geisteskranken Philosophen selber zu misshandeln, vielmehr sollte der reine Anblick von Grausamkeit und Leiden eine Katalyse herbeiführen. Welche Form diese Grausamkeiten annehmen sollten, hat Schuler leider nicht ausgeführt. Es ist allerdings anzunehmen, dass die nur mit Kupferschilden bekleideten Jünglinge, die um Nietzsches Krankenlager tanzen sollten, bei der Darstellung des Leidens eine wie auch immer geartete Rolle spielen sollten. Geplant war zudem eine Mitwirkung Kaiserin Elisabeth von Österreichs, die sich der Heilung Nietzsches indes schweigend entzog.
Schon mangels finanzieller Mittel zum Ankauf der Kupferschilde kam die in mehreren Briefen geäußerte Idee Schulers allerdings nie zum Einsatz, so dass Friedrich Nietzsche im Jahre 1900 nach mehreren Schlaganfällen ungeheilt verstarb.
Weniger bekannt als der Zusammenbruch des Philosophen und sein anschließender Aufenthalt in einschlägigen Klinika - und sodann in der Obhut von Mutter und Schwester - sind indes zwei sehr interessante Versuche, den Philosophen von seiner Geisteskrankheit zu heilen, über deren Natur, wie man weiß, die Wissenschaft, bis heute uneinig ist, und gerade vor diesem Hintergrund mag man es als äußerst bedauerlich bezeichnen, dass keiner der beiden Versuche über das Stadium allgemeiner Planung hinausging.
Gespräche mit Herrn Langbehn
Julius Langbehn erfreut sich vor dem Hintergrund einer seit der letzten Jahrhundertwende doch deutlich gesunkenen Hochachtung vor der deutschen Nation als Quell einer erdhaften, ebenso gesunden wie ursprünglichen Erlösung von den Übeln der Moderne selbst in Fachkreisen ja keiner besonderen Beliebtheit mehr. Auf dem Höhepunkt seines Ruhms jedoch, irgendwann in den Neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts, waren große Teile der deutschen Bevölkerung überzeugt von den Thesen des Verfassers von „Rembrandt als Erzieher“, die Rettung der Deutschen sei allein aus einer Rückbesinnung auf die kerngesunde Vergangenheit zu schöpfen, in der die derbe, kräftige und aufrichtige Natur der Deutschen noch ungebrochen durch spätere Einflüsse bestanden habe, und inmitten von überfeinerter Dekadenz seien die auf diese Weise genesenen Deutschen dazu bestimmt, mindestens über Europa zu herrschen.
Wie auch immer, die deutsche Nation fühlte sich verstanden, und möglicherweise hätte nach dem Erscheinen des Werkes, dem Herrn Langbehn seinen - wenn auch zeitlichen - Ruhm verdanken sollte, Nietzsches Mutter sich dem Anerbieten Langbehns nicht in der selben Weise verschlossen, wie dies der Fall war, als kurze Zeit nach der Erkrankung und eben noch vor Erscheinen des Rembrandtbuches, Langbehn anreiste und sich an sie wandte mit dem Ansinnen, ihm die Vormundschaft für den Kranken zu übertragen. Er werde ihn durch Gespräche heilen. In Anbetracht der Tatsache, dass sich bereits der gesunde Nietzsche einer Annäherung seines Bewunderers Langbehn widersetzt hatte, sicherlich nicht gerade die naheliegendste Idee, und so schob der Theologe Franz Overbeck weiteren Vorstößen Langbehns entsprechend einen energischen Riegel vor, so dass es Langbehn nicht gelang, die Heilkraft seiner Konversation über die Gesundung der Moderne durch die Kraft der Nation an Friedrich Nietzsche auszuprobieren.
Alfred Schulers korybantische Tänze
Ob der 1923 verstorbene Münchener Kosmiker Alfred Schuler den Vorstellungen des letztgenannten Herrn an eine kerngesunde deutsche Persönlichkeit voll und ganz entsprochen hätte, darf man insgesamt wohl als durchaus zweifelhaft beurteilen. Der Münchener Privatgelehrte, der 1899 bis 1904 mit Ludwig Klages, Karl Wolfskehl, Ludwig Derleth und Stefan George selbst den Kern des Münchener Kosmiker-Kreises bildete, war der Vergangenheit zwar nicht abgeneigt, hielt sich jedoch nicht für einen „Rembrandt-Deutschen“, sondern für die Reinkarnation eines antiken Römers, und war offenbar auch in der Lage, diese Annahme auch einem größeren Publikum im Rahmen von Vorträgen gegenüber glaubhaft zu machen. Die ebenso opulente wie blutrünstige Gedankenwelt jenes Herrn, der die Rettung der Menschheit durch wenige Auserwählte erwartete, denen ein besonderes Fluidum - die Blutleuchte eben - zu eigen sei, verdient allerdings eine eigene Darstellung, die an dieser Stelle weder geleistet werden kann noch soll, und so ist Ihnen, geschätzter Leser, nur zu raten, sich selber den 1940 von Ludwig Klages herausgegebenen Nachlass zu besorgen, und mit dem Werk jenes Herrn einige ebenso irritierende wie angenehme Stunden zu verbringen.
Die ursprüngliche, durch keine moderne Verwässerung von den Quellen vitaler Kraft hinweggespülte Grausamkeit, die als eines der Hauptmerkmale der Blutleuchte eine prominente Rolle im Denkgebäude dieses Herrn spielt, sollte auch bei der Heilung des umnachteten Nietzsche zum Einsatz kommen. Zwar war nicht daran gedacht, den geisteskranken Philosophen selber zu misshandeln, vielmehr sollte der reine Anblick von Grausamkeit und Leiden eine Katalyse herbeiführen. Welche Form diese Grausamkeiten annehmen sollten, hat Schuler leider nicht ausgeführt. Es ist allerdings anzunehmen, dass die nur mit Kupferschilden bekleideten Jünglinge, die um Nietzsches Krankenlager tanzen sollten, bei der Darstellung des Leidens eine wie auch immer geartete Rolle spielen sollten. Geplant war zudem eine Mitwirkung Kaiserin Elisabeth von Österreichs, die sich der Heilung Nietzsches indes schweigend entzog.
Schon mangels finanzieller Mittel zum Ankauf der Kupferschilde kam die in mehreren Briefen geäußerte Idee Schulers allerdings nie zum Einsatz, so dass Friedrich Nietzsche im Jahre 1900 nach mehreren Schlaganfällen ungeheilt verstarb.
von: Modeste Schublade: Datum: 7. Dez. 2005, 11:52 Uhr