Montag, 24. April 2006

The silent downturn of Krokette

Da gehen Sie also einmal richtig gut essen, es gibt irgendwas mit Trüffel obendrauf oder Seezungenröllchen mit Morchelsülze oder ein Risotto aus Lebensmitteln, von denen Sie nie angenommen hätten, das man daraus Risotto machen kann, Graupen oder so. Gefüllte Nudeln werden immer gern genommen, vielleicht mit einem wirklich exotischen gehackten Kürbis innendrin oder Entenstopfleber oder derlei Dingen, die ja wirklich gut schmecken, wie man weiß. Steak steht auch auf der Karte, aber wenn Sie das bestellen, habe ich gehört, wird Sie der Koch verachten, den Sie zwar nicht kennen, aber das hat man ja nicht so gern, und Steak gibt’s schließlich auch anderswo.

Vielleicht ist Ihnen das auch alles zu teuer, Sie haben kein Geld und niemanden, der Sie einladen möchte, und gehen deswegen einfach eine Portion Sushi essen, Ente in Misosauce und dazu gibt es Reis. Sie können auch Pizza essen, so eine riesengroße Pizza mit wahnsinnig viel Lachs drauf und einem ganzen Becher Créme fraîche in den S-Bahnbögen, thailändische, scharfe Suppen bei Monsieur Vuong, oder ein Wiener Schnitzel in Kreuzberg.

Dann schleppen Sie sich nach Hause. Sie sind satt. Sie sind so eindeutig satt, dass es fast schon widerlich ist, aber irgendetwas, irgendetwas fehlt. Sie hatten Reissuppe mit japanischem Berggemüse, Sie haben Weinbergschnecken bekommen, man hat Ihnen Tarte Tatin gebracht und Seewolf gebraten, aber in Ihrem Magen ist ein Loch. Nicht ein richtiges Loch, keine tatsächliche Leere. Tatsächlich sind Sie eigentlich pappsatt und können überhaupt nichts mehr essen, und wenn Sie es versuchen würden....tja, das ginge schlecht aus und morgen lägen Sie im Bett.

„Mein liebes Fräulein Modeste!“, ächzen Sie pappsatt, aber diffus unbefriedigt, in die Nacht und bitten um Aufklärung, was nun eigentlich gerade nicht stimmt. Sie haben etwas nicht bekommen, wonach Ihnen der Sinn steht, aber Sie wissen nicht was. Ihre Sehnsucht, um einmal ein wenig pathetisch zu werden, kreist ziellos über Ihrem Bauch. Verschwörerisch, fast etwas geheimnisvoll, beuge ich mich dann über Sie und flüstere Ihnen die ganze Wahrheit ins linke Ohr: Es liegt an den Beilagen. Sie stottern etwas von Bärlauchspätzle und gratinierten Stampfkartoffeln, von großartigem Brot oder Sobanudeln, aber ich, ich schüttele einfach nur den Kopf. Kroketten, sage ich, und auf einmal wissen Sie, woran es fehlt.

Seit Jahren, stöhnen Sie aus den schmerzhaften Tiefen Ihrer Übersättigung, fressen Sie sich durch die Berliner Gastronomie. Wo man isst, da essen auch Sie, wo man trinkt, da lassen Sie sich nieder, und der Tag ist nicht fern, an dem die Berliner Sommeliers zu Ihrem Geburtstag eine Delegation schicken werden. Kroketten aber, Kroketten haben Sie jahrelang keine gesehen, noch nicht einmal von Kroketten gelesen, denn die Speisekarten Berlins, sie sind vollkommen krokettenfrei, denn die Krokette muss irgendwann aus der Mode gekommen sein und niemand isst mehr davon. Ein trauriges Randgruppendasein führt die Krokette und wird lediglich von älteren Damen noch heimlich aus den Tiefkühltruhen gefischt und sofort unter einem Beutel Rucola verborgen.

Da liegen Sie dann also, halten sich den Bauch und stöhnen nach Kroketten. Natürlich paniert, knusprig außen, innendrin weich und saftig mit Jägersauce oder Rahmsauce dazu, und dazu passt weder eine marinierte Ente mit Ingwer und Honig noch Jacobsmuscheln oder Lammbratwurst. Zu Kroketten passen ein paar Bratenscheiben, Rinderschmorbraten oder ein Kalbsrücken oder einfach ein Butterschnitzel mit Spiegeleiern obendrauf.

„Das kann so schwer nicht sein.“, fangen Sie an zu spekulieren. „Hah!“, sage ich und berichte über eins der letzten schwarzen Löcher der Berliner Gastronomie: Wo man Kroketten isst, da will man nicht hin, weil die Küche da Tiefkühlerbsen auftaut und stinkende Braten aus alten Schweinen zubereitet. Außerdem sind die Leute hässlich, die in diesen Restaurants verkehren, und das Interieur sagt einem ästhetisch empfindsamen Gemüt auch nicht zu. Der Untergang der Krokette in der Wohlfühlgastronomie, sage ich.

Das darf doch nicht wahr sein, protestieren Sie und schlafen ein mit Ihrem vollen Magen. In Ihren Träumen servieren reizende Kellnerinnern krosse Kroketten und Schmorbraten dazu, Küchenchefs beherrschen die Kunst der perfekten Rotkohlzubereitung, aber in Wirklichkeit, in der Berliner Realität, gibt es keine Schmorbraten, keine Kroketten, und das ist sehr, sehr schade.



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