Mittwoch, 4. Oktober 2006

Logistik und Eitelkeit

Sollten Sie, meine Damen und Herren Berliner, im Laufe des morgigen Tages eine dicke Dame beobachten, die sich alle paar Sekunden hektisch und ein wenig fahrig durchs allzu dichte schwarze Haar fährt, dicke Haarsträhnen zwischen Zeige- und Mittelfinger klemmt, und vor jedem Spiegel anfängt, ihr Haar nach rechts und links zu schieben, und dann ein bißchen zu schnauben, weil es ja doch nicht besser wird: Sprechen Sie sich ruhig an. Es geht ihr gut. Da wäre nur....

.... die Sache mit den Haaren.

Wie die Fama weiß, wiegen allein meine Haare mehr als manches Model, welches sadistische Modeschöpfer über den Laufsteig schicken. Meine Haare sind schwarz, dick, erinnern nicht nur entfernt an das, was Pferden aus der Haut sprießt, und neigen überdies dazu, nicht glatt und seidig an den Seiten herabzuhängen, sondern strähnenweise abzustehen.

Dies wiederum bedingt, dass das schiere Wachsenlassen keine sonderlich vorteilhafte Alternative darstellt. Da ich auch nicht zu denjenigen Leuten gehöre, die überhaupt immer gut oder zumindest charming zerzaust wirken, gehen allzu lange Absenzen vom Friseur auch stets schwer zu Lasten meiner Gesamterscheinung, die ohnehin derzeit gewichtszunahmebedingt noch weniger meinen Vorstellungen entspricht als sonst.

Dann gehen sie doch zum Friseur, stöhnt es vernehmlich aus den Weiten des Internets. Überhaupt, so ächzt es weiter, sollten sie - also ich - endlich aufhören, ein seriöses Medium wie das Internet durch die Verbreitung ihrer rein privaten und im Maßstab welthistorischer Ereignisse extrem irrelevanter Probleme vollzumüllen. Beschäftigen sie sich endlich mit ernsthaften Dingen, schallt es mir aus den elektronischen Kanälen entgegen, denn meine Privatprobleme fände, wie man weiß, höchstens ich selber interessant.

Dabei, so antworte ich hiermit empört den anonymen Stimmen, ist es doch gerade die Beschäftigung mit ernsthaften Dingen, welche mich davon abhält, dem entwürdigenden und ästhetisch sehr, sehr demütigenden Zustand ein Ende zu bereiten. Nicht die Befüllung des Internets mit rein privaten Petitessen, nein, mein Broterwerb ist es, der mich davon abhält, endlich einmal zum Friseur zu gehen, denn diese Zunft pflegt ausschließlich zu Zeiten zu arbeiten, an denen diejenigen, die wie ich einer Berufstätigkeit nachgehen, in ihren Büros und nicht auf Friseurstühlen sitzen.

„Wann geht ihr eigentlich zum Friseur?“, fragte ich folgerichtig Kollegen, die schon länger berufstätig sind als ich, um herauszufinden, wie jene des Problems Herr werden, nur, um zu erfahren, dass der frühe Morgen sich anbiete, wolle man trotz Beruf halbwegs gepflegt durchs Leben schreiten. – Tätigkeiten, die am frühen Morgen auszuführen sind, verbieten sich mir indes eigentlich von selbst, zudem mag es dem Erfolg eines Friseurbesuchs abträglich sein, wenn die zu Frisierende während der Leistungserbringung einschläft. – „Na, Samstags“, sagten andere Stimmen, „musst halt nur rechtzeitig anrufen.“ – „Ich hasse Friseurbesuche!“, entgegnete ich dann, „und sehe überhaupt nicht ein, meine ohnehin allzu knappe Freizeit vor einem Spiegel zu verbringen, in dem ich immer bleich und ziemlich krötenartig aussehe, während die durchtrainiert-schlanke Friseurin M., halb so breit wie ich selber, vergeblich versucht, den Dschungel auf meinem Kopf in eine französischen Garten zu verwandeln.“

Ein paar Tage lang siegten so die Unlustgefühle am Friseurbesuch über die Unlust an der ausgewachsenen Frisur. Dann aber, da sich das Haareschneiden nicht ewig aufschieben lässt, wird, voraussichtlich morgen, doch angerufen werden müssen. Morgen allerdings sind die Samstagstermine höchstwahrscheinlich bereits ausgebucht, nichts geht mehr, und ich vertage den Friseur schlimmstenfalls gezwungenermaßen für eine Woche, während der die Haare munter weitersprießen, und wühle den ganzen Tag, den ganzen, verdammten Tag, in meinen Haaren herum, bis man mir solches verweist.

Und das sollten auch Sie tun, wenn Sie mich morgen so herumlaufen sehen, die rechte Hand im Haupthaar und die linke am Telephon, während ich vergeblich versuche, einen Termin noch für Samstag zu bekommen, und leicht hysterisch in das Telephon an meinem Ohr kreische, dass man mir das doch nicht antun könne, denn es handele sich um einen wirklichen Notfall, es ginge gar nicht mehr, nein, jetzt geht es auch nicht, aber bitte, bitte diesen Samstag... morgens, abends - egal wann, ja, hat ihre Kollegin auch schon - es ist aber wirklich dringend - nicht einmal, wenn jemand absagt? - Ja, dann rufen sie mich doch einfach an, danke - bitte - vielen Dank, tschüß.

Aufmerksamkeit

Sehr gern lese ich ja gelegentlich Texte aus diesem Weblog anderen Menschen vor, die sich zu diesem Zweck an öffentlichen Orten versammeln, wie erst letztlich, Sonntag nämlich in Wien, wo freundliche Wiener auch mir zuzuhören bereit waren.

Noch schöner für die eigene Eitelkeit ist es natürlich, wenn sogar andere Menschen meine Texte vorlesen mögen, zumal so ansprechend wie Herr Wrobel, der, unterlegt mit ein wenig Musik, diesen Text zum Anhören bei blog:read eingestellt hat.

Sehr gefreut.



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