Freitag, 4. Mai 2007

Ein Festival des Selbsthasses an einem Samstag im Mai

Wie ich der einschlägigen Fachpresse entnehme, sollen Oberschenkel – jawohl: dieses Stück Bein zwischen Knie und Rumpf – keinesfalls konisch geformt sein. Walzenförmig ist das Bein der Zukunft, eine sehr dünne Walze allerdings, und ganz gleich hat sein Umfang kurz unter dem Hüftknochen zu sein im Verhältnis zum Umfang knapp vor dem Knie. Entspricht ein Bein aber nicht dieser weltweit anerkannten Norm, dann, o unglückliche Beinbesitzerin, dann ergeht es Ihnen wie mir, und zunehmend gedrückt schleppen Sie sich an einem Samstag durch die Geschäfte und versuchen, Ihre Beine in sehr, sehr schmale Hosenbeine zu bugsieren, in denen – und das ist das Schlimmste – andere Leute wirklich gut aussehen. Die C. zum Beispiel, die mit immerhin 1,68 gleichwohl in Größe 34 passt, und – um dem Fass den Boden auszuschlagen – nicht einmal verhungert aussieht dabei, sondern einfach gut.

Klein, fett und hässlich schleppe ich meine Körpermassen der shoppenden C. durch Charlottenburg hinterher, zupfe resigniert an einigen herumhängenden Jackenkleidern, die an dünnen Leuten super aussehen, und die ich nicht einmal zugeknöpft bekomme, und kaufe vor lauter Verzweiflung, und um auch etwas gekauft zu haben, ein Kostüm, von dem der J. drei Stunden später behaupten wird, es sei zu eng.

„Größer gab’s das nicht.“, werde ich ächzen und die Kostümjacke auf mein Sofa werfen. Mich selbst würfe ich gern hinterher, indes liegt dort bereits der J. und schüttelt den Kopf über den blödsinnigen Einkauf. „Wegschmeißen!“, werde ich schluchzen, und das Kostüm im Schrank verstauen für später, wenn ich wieder schlank sein werde, was – wie wir alle wissen – niemals eintreten wird.

In Mitte will man mir auch nichts verkaufen. Die C. kauft ein Kleid, das es in meiner Größe dermaßen nicht gibt, das sich nicht einmal das Anprobieren lohnt, und mit hängenden Ohren, schniefend vor Heuschnupfen und Enttäuschung laufe ich heim. Die C. shoppt weiter.

„Die wollen mein Geld nicht.“, jammere ich dem J. vor und betaste meine Arme und Beine. „Blödsinn.“, schüttelt der J. den Kopf und spricht von Hosenanzügen, die mir besser stünden als die begehrten zarten, femininen Kleidchen, und meiner himmelschreienden Dummheit, wider besseren Wissens stets nach Kleidungsstücken zu greifen, die für einen Frauentyp entworfen worden sind, den der J. schonungsvoll als „anders gebaut“ bezeichnet. Verachtungsvoll kneife ich mit geschlossenen Augen in meinen Speck, bis es schmerzt und die Nägel rote, schmerzende Stellen hinterlassen. Hässlich sieht das aus, denke ich, aber auch irgendwie egal.

Manchmal wär’s gut, fünfzig zu sein, denke ich und schaue dem J. beim Musikhören zu. Wenn es erst einmal egal ist, ob man schlank ist, weil dann ohnehin die anderen an der Reihe sind, schön und geliebt zu sein, die jetzt gerade einmal geboren sind oder demnächst eingeschult werden. Auch nicht schlecht wäre es, irgendwo zu leben, wo die schönen, die beneideten, die zarten und zierlichen Frauen ihre Zartheit und Zierlichkeit genauso wenig herumzeigen könnten, wie ich mein Fett herumzeigen muss, und alle stäken in riesigen, unförmigen, vielleicht schwarzen Gewändern. Den Tschador haben dicke Frauen entworfen, sage ich laut, aber der J. hört mir nicht zu, sondern nickt im Takt der Musik aus seinen Kopfhörern, die, so denke ich mir, von lauter blitzdünnen, biegsamen und wohlgekleideten Frauen gesungen wird, die Größe 34 tragen, eisgekühlten grünen Tee trinken und Frauen wie mich mitleidig auslachen, wenn sie mit ihren Freundinnen einkaufen gehen und dicke Frauen sehen, die verzweifelt Kleidungsstücke über die Stangen schieben in der Hoffnung, es gäbe das Begehrte auch in Größe 40 oder so, aber das ist natürlich alles Quatsch.



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