Sonntag, 27. Februar 2011

Journal :: 26.02.2011

Am Freitag bringt man mir ein Päckchen ins Büro. Es ist an mich adressiert, das schon, allerdings enthält es kein Geschenk für mich, sondern ein Geschenk für den J. Der J. hat nämlich am 27.02. Geburtstag.

Das Geschenk ist von seinen Eltern. Seine Eltern wollen nicht, dass wir Samstag bei der Post anstehen müssen. Deswegen schicken sie Päckchen lieber ins Büro. Warum zu mir und nicht zum J. weiß allerdings der Teufel. Vielleicht haben sie Angst, er könne das Päckchen vorzeitig öffnen. Entsprechend bringt mir also eine der Damen vom Empfang das Päckchen von rund 20 x 25 x 15 cm Ausmaß in braunem Packpapier mit getipptem Adressaufkleber auf der Vorderseite in mein Büro. "Danke!", sage ich und strecke die Hand nach dem Päckchen aus. Ich halte das Geschenk hoch und schüttele es vorsichtig. Man hört rein nichts.

Am Abend bringe ich das Päckchen mit und gebe es dem J. Der J., finde ich, soll es nun selber tragen. Auch der J. hält das Päckchen ans Ohr, er wiegt es in der Hand, er dreht und wendet das Päckchen. Das Päckchen ist undurchdringlich. Das Packpapier ist sichtlich von des J. Mutter um eine Schachtel gewickelt worden und gibt keinerlei Hinweis darauf, woher das Päckchen stammt.

Am Samstag steht das Päckchen auf dem Küchenschrank. Ich wirbele durch die Küche, backe erst einen Sauerkrautkuchen und dann eine Nougat-Karamell-Buttercremetorte, brate Bouletten und bereite kalte Platten für das Frühstück vor, zu dem der J. am nächsten Morgen geladen hat. Ab und zu wandert mein Blick zum Schrank. Den Eltern des J. traue ich an sich als Geschenk lediglich Geld und Heimtextilien zu. Für Bettwäsche oder Handtücher ist das Päckchen aber viel zu klein. Zeitweise fürchte ich einen Becher aus Bürgeler Keramik. Die Mutter des J. findet die klobigen, blauen, weißgetupften Becher super und hat entsprechend zu Weihnachten einen Becher erhalten, auf dem ihr Name stand. Möglicherweise hat sie sich - zutiefst erfreut - nun revanchiert. "Dann würde Zerbrechlich auf dem Päckchen stehen.", verneint der J. diese Ansicht und schüttelt das Päckchen selbst noch ein paarmal.

Um Mitternacht gibt es Champagner. Der J. bekommt ein Geschenk von mir. Ich singe so laut und schön wie ich kann ein Geburtstagslied speziell für den J., wir stoßen an, und dann öffnet der J. das Päckchen. Es enthält keine Keramik. Es enthält keine Heimtextilien. Es enthält eine Flasche Molton Brown Duschgel, eine Parfumprobe und - oh Unfassbarkeit des menschlichen Geistes - ein kleines, grünes, steinernes Ei.

Journal :: 25.02.2011

Bis so circa 2005, bilde ich mir ein, konnte man in Berlin meistens ohne Reservierung überall hingehen. In den letzten Jahren ist das schwierig geworden, meistens reserviere ich spätestens mittags für abends, und so sind der J. und ich kein bißchen überrascht, dass es in der fleischerei ohne Reservierung keinen Tisch mehr für uns gibt.

Ins Pappa e Ciccia könnten wir gehen. Ins femmina morta, schlage ich alternativ vor, aber schnell muss es gehen, schnell, schnell, schnell, denn es ist so elend kalt heute nacht, dass ich auf keinen Fall lange zu Fuß irgendwo hin laufen will. Ich komme direkt aus dem Büro: Ich habe nicht so richtig viel an.

Am Ende ist es dann das Filetstück. Gerade in dem Moment, in dem wir fragen, wird ein Tisch frei. Wir nehmen den Wurstteller aus der Vitrine wie immer. Ich trinke Wasser, weil es gestern ein Glas Wein zu viel gewesen ist. Ich nehme das grandiose Filet von Donald Russell, medium rare, einen gemischten, letztlich unspektakulären Salat und eine Art aufgeschäumte Hollandaise, die an sich ganz gut ist, aber etwas zu butterig für das Fleisch. Ich vermisse ein bißchen das Risotto, das sie hier sonst immer hatten.

In meinem Kopf läuft der Tag immer weiter. Das Klima. Das Berlinklima. Das Weltklima. Die Klimakatastrophe. Ein Stück Klimawandel, fällt mir dazu ein, liegt vor mir halbgegessen auf dem Teller. "Kühe sind Klimakiller."; gebe ich mit einem Hauch schlechten Gewissens zu Protokoll, und der J. nickt schuldbewusst über seinem Entrecote vom pommerschen Rind. Könnte man bei der netten Kellnerin den Treibhauseffekt der verzehrten Kuh kompensieren, mit Freuden bestellte ich statt eines Kaffees einen Ablass, aber so laufe ich nicht allzu spät mit dem J. die Danziger heim, zufrieden mit mir, mit der Kuh, und nur das Weltklima ist so ein Punkt, den ich heute nacht nur ungern bedenke.

(In der fleischerei wäre das aber auch nicht anders gewesen.)



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