Ein Bild von einem Oger
"Das bin doch nicht ich?", rufe ich erschreckt aus und drehe mich nach dem J. um. Auf den Bildern von unserer Wanderung im Dschungel bei Mae Hong Son sieht man ganz deutlich einen Oger. Aus unerklärliche Gründen hat der Oger meine Hosen an, er trägt mein blaues Shirt, einen Rucksack auf dem Rücken und balanciert plump und etwas unbeholfen über einen Baumstamm.
Auch auf den anderen Bildern ist der Oger zu sehen. Er sieht zufrieden aus. Auf manchen Bildern lacht er sogar. Er trinkt Wasser, er macht auf einem großen Stein an einem Wasserfall eine Pause, er schwitzt fürchterlich, wie Oger es eben tun. Der Oger mag den Wald, wie es scheint, klar: Oger leben schließlich immer im Dickicht und verstecken sich in Höhlen. Dies scheint auch auf diesen Oger zuzutreffen, denn er ist dermaßen bleich, als habe er seit Monaten keine Sonne mehr gesehen.
Wie der Oger die lange Wanderung überstanden hat, weiß die Hölle. Der Oger sieht extrem unsportlich aus. Dabei macht der Oger einen zufriedenen Eindruck, vermutlich mag er die riesigen Bäume, den Fluß, die Einsamkeit am Ende der Welt, wo man vier Stunden lang laufen und niemanden treffen kann. Der Oger schaut Schmetterlingen hinterher, der Oger isst einen Keks. Vor der Schlange, die sich über den Trampelpfad schlängelt, hat der Oger sich erschreckt, aber die war so schnell, die hat der J. nicht photographiert.
"Sehe ich wirklich so aus?", frage ich vier Tage später sehr niedergeschlagen den J. und schaue mir die Ogerbilder genau an. Der J. beschwichtigt. Der J. hat es ohnehin nicht leicht mit mir, die ich sehr gern reise und sehr ungern am Strand liege, und nur wegen des J. überhaupt auf diese Insel mitgekommen bin. "Das bin doch nicht ich.", versuche ich noch einmal, den Oger abzuleugnen. Der J. lacht. "Mein kleiner Oger.", zieht er mich freundlich an den Ohren und macht das Licht aus.