Mittwoch, 15. Dezember 2010

August

Sommer, denke ich und schiebe mich frierend durch die enge Straßenbahn zum Automaten. Heiß muss es sein. Auf dem schmelzenden Asphalt soll die Hitze liegen wie eine feuchte, warme Decke. Sandalen will ich tragen und ein kurzes, rotes Kleid. Der Fahrtwind auf dem Rad soll sich anfühlen wie ein Föhn. Unter den Oberbaumbrücke soll die Spree der Nacht entgegenfließen.

Die Autofahrer sollen hupen vor lauter Übermut. Die Busse fahren mit offenen Türen. Es soll nach Knoblauch und Kreuzkümmel riechen, nach Benzin und blühenden Bäumen. Wo ich vorbeifahre, will ich Gelächter hören, Paare sollen sich küssen, und im Flieder verborgen lehnt der Sommer an einer Wand und spielt auf dem Akkordeon Lieder über die Liebe.

Es soll Sommer sein, denke ich mir, und der Sommer soll niemals enden.

Montag, 13. Dezember 2010

Fußkrank

Ich habe gehört, dass ein Franzose namens Wurst ein Buch darüber geschrieben hat, wie schlecht die deutschen Frauen flirten. Vermutlich ist da Einiges dran. Die deutschen Männer jedoch, oh Leserin, oh Leser, haben an diesem Umstand ein gerüttelt Maß Mitschuld, denn in Wahrheit verhält es sich doch so: Deutsche Männer haben beim Flirten Plattfüße.

Lächeln Sie als eine mittelalte, mittelgroße und mitteldicke Frau morgens in der M 4 nach Mitte einen beliebigen Mann freundlich an, weil er so schöne Haare hat zum Beispiel, dann schaut Sie dieser Mann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit einer Mischung aus Ratlosigkeit und Misstrauen an. Nun gut, ein wandelnder Männertraum sieht anders aus, zugegeben - aber ist das ein Grund auszusehen, als habe man dem betreffenden Herrn im Anzug gerade kräftig und schmerzhaft in die Wange gekniffen? Vermutlich denkt der Betroffene des visuellen Überfalls gerade angestrengt nach, woher er einen kennt, kommt zu keinem Ergebns und vermutet eine Wahnsinnige? Was geht in den Herren vor, die irgendwo auf einer der etwas offizielleren Weihnachtsfeiern der Stadt neben einer Frau an einem Fingerfood-Buffet stehen und statt ein paar netter Worte über Shrimps und Roastbeefröllchen oder so einfach nur äußern, man möge ihm eine Serviette reichen und sich dann abwenden?

Auch nicht anders sieht es aus auf den Parties im eher privaten Rahmen. Wenn jemand sich mit Ihnen unterhält, dann macht er Ihnen garantiert keine Komplimente. Vermutlich fragt er, was man denn so mache, denn das machen sie immer, die Männer dieser Stadt, weil sie das zwar auch nicht mehr interessiert als ein Sack Reis in China, aber etwas anderes fällt ihnen ganz offensichtlich nicht ein. Geschmikt und geschmückt, parfumiert und enthaart, sorgfältig angezogen und einladend lächelnd stehen dann die weiblichen Gäste in fremden Küchen und fragen sich, wieso sie den ganzen Abend sehr ernsthafte Gespräche um internationale Politik oder den Kunstmarkt führen müssen. Komplimente müssen teuer sein. Anders ist das alles nicht zu erklären. Noch viel irritierender sollen die Reaktionen sein, wenn man selbst zur Offensive übergeht. Dass der Angefallene nicht einfach wegläuft, scheint noch die Optimalreaktion darzustellen.

Lächelt aber einer mal, macht möglicherweise hinreißende Komplimente und kann dann auch noch tanzen, ist man ganz verwirrt. In überproportional vielen Fällen ist dieser Herr dann aus fremden Landen, aber stammt derjenige schlicht aus Ulm oder Herford, dann reagiert man leicht irritiert, ein wenig verlegen (was ist das?), lächelt ein wenig unsicherer zurück, als eigentlich beabsichtigt und verdient, und wenn dann einer publiziert, die Berliner Frauen seien ein wenig, nun, spröde, dann hat er vermutlich recht.

Schuld, hier sei es einmal festgehalten, haben aber eigentlich die anderen.

Mittwoch, 8. Dezember 2010

Im Schnee

Zu Fuß mache ich mich auf den Heimweg. Schwarz ist der Himmel, als gebe es nie wieder Sterne, und es fällt Schnee, Schnee, Schnee, uns alle zu bedecken.

Mir aber geht es gut, umgeben von Flocken. Alle Fenster leuchten mir gelb und warm Willkommen. Meine Strumpfhosen sind dünn, ich friere nach wenigen Metern, doch der Schnee wirbelt die Kälte weg, und wenn einer anriefe, mit mir im Volkspark einen Schneemann zu bauen, ich liefe los und rollte Riesenkugeln aufeinander. Weil keiner anruft, laufe ich heim.

Drei Mädchen mit diesen Schlumpfmützen, die so lange Hinterköpfe machen, laufen lachend untergehakt an mir vorbei. Absätze haben die drei unter ihren Stiefeln, dass ich neidisch werde, weil sie so sicher laufen, als seien sie schon mit Absätzen geboren, und ich suche in meinem iPod nach einem Song, der mich nach Hause begleitet, und würde mitsingen, fiele mir etwas Gutes ein.

(Zu Hause aber ist alles dunkel und still.)

Mein anderes Ich im Winter

Im Winter wäre ich gern jemand anders. Bevorzugt wäre ich etwa gern eine Person, die morgens nicht aufstehen muss, das wäre eigentlich optimal. Ich würde mich einfach im Bett umdrehen, wenn es draußen trüb, feucht und kalt aussieht, weiterschlafen, und wenn um elf die Katzen richtig renitent werden, würde ich mich in die Küche schleppen, eine Runde Katzenfutter für alle, und dann schliefe ich weiter. Optimalerweise würde mir jemand, der auch nicht aus dem Haus muss, Kaffee kochen und mich gegen Mittag vorsichtig wachstreicheln.

Wäre ich erst einmal wach, würde ich gern fliegen. Ich bin an sich ganz gern im Büro, aber die Anfahrt mit der M 4 die Greifswalder abwärts ist bei Temperaturen wie diesen kein Spaß. Der BVG ist alles in allem nicht klar, dass im Winter doppelt so viele Leute wie sonst Straßenbahn fahren, deswegen sind die Bahnen unglaublich überfüllt, und die Berliner sind im Winter alle Misanthropen und hören außerdem über Kopfhörer ganz, ganz, ganz laut Musik. Manche sprechen auch mit anderen oder telefonieren lautstark, um die Fahrzeuggeräusche zu übertönen. Könnte ich auf dem Luftweg ins Büro gelangen, wäre alles besser.

Insgesamt wäre ich auch ganz gern jemand, der nicht so schrecklich friert. Nun gut, es mag auch an meiner Abneigung gegen Hosen liegen, dass mir dermaßen kalt ist, aber ich sehe in Hosen merkwürdig aus, und trage nur zu Hause auch mal Jeans, wo es nicht so drauf ankommt. Ich habe schon dicke, gestrickte Strumpfhosen an, aber das hilft auch nicht. Ich wäre gern so kälteresistent wie manche britische Mädchen, die halbnackt stundenlang vor Clubs stehen können. Ich zittere von Dezember bis März und gelte in mir nahestehenden Kreise vermutlich als ziemlich verweichlicht.

Abends wäre ich gern jemand auf einem Sofa. Ich habe abstrus viele Termine, dabei würde ich an sich gern zu Hause herumliegen. Ich hätte gern eine Katze auf dem Bauch. Man sollte mir Kakao und Cupcakes reichen. Ich möche eine Nackenmassage und dann so langsam davondämmern. Wenn ich einschlafe, trüge man mich ins Bett und sänge mir leise, leise Lieder vor und bürstete mir sorgfältig und ohne mich zu wecken die Zähne.

Sonntag, 5. Dezember 2010

Madame geht leer aus

Ach. Was habe ich angerichtet. Ich sitze also vor einer guten Woche neben dem geschätzten Gefährten auf dem Sofa. Gegenüber vom Sofa steht eine niedrige, dunkle Kommode aus den Dreißigern, mehr so mittelattraktiv und ungefähr einen Meter hoch, und über der Kommode klaffen 2,70 weiße Wand bis zur Decke. Wir sind kürzlich umgezogen, und jetzt haben wir geradezu ungemütlich viel Platz.

"Ist ziemlich kahl hier.", sage ich also zum J. Der J. nickt. Über uns, also überm Sofa, hängt zwar ein Bild, eine großformatige Photographie von einem Berliner Photographen, dessen Namen ich vergessen habe, aber das sieht man ja nicht, wenn man auf dem Sofa sitzt. Was soll ich sagen - der horror vacui war stärker als wir. Wir haben noch in der letzten Woche ein Bild gekauft. Es ist ziemlich groß und war (für unsere Verhältnisse) ziemlich teuer, und deswegen schenken wir es uns beide gegenseitig zu Weihnachten. Ansonsten gibt es nichts.

Am Dienstag waren dann meine Eltern in Berlin. Ich treffe meine Eltern immer gern. Meine Mutter hat zwar eine doppelt so hohe Schlagzahl wie jeder andere Mensch, den ich kenne, aber für kürzere Zeiträume ist das sehr amüsant. Meine Mutter bringt deswegen das Vielfache an Information in einem Abend unter, mein Vater dagegen ist ein Quell der Ruhe und des Friedens, und so saßen wir zu dritt beim Cavallino Rosso, das ist so ein ganz netter Italiener in Mitte, und aßen sehr gut und viel und lange. Irgendwann brachten meine Eltern mich nach Hause, ich erhielt eine Tasche, in der war mein Adventskalender. Tasche samt Kalenderinhalt, so teilte man mir mit, seien mein Weihnachtsgeschenk.

Weihnachten werde ich also weder vom J., noch von meinen Eltern ein Weihnachtsgeschenk erhalten. Von meiner Schwester erhalte ich vermutlich ohnehin nur Käse, eine Duftkerze etwa oder eine CD von Norah Jones oder ein Buch über Powerpilates. Von den Eltern des J., die zu allem Überfluss hier auch noch einen Tag erscheinen, erhalte ich wie immer vermutlich wahlweise Bettwäsche oder Handtücher, was jetzt ungefähr so viel Freude hervorruft, als wenn man mit sieben statt einer Playmobil-Ritterburg einen Rollkragenpullover erhält, und sehr viel mehr Menschen gibt es gar nicht, die mir etwas schenken könnten. Madame geht also leer aus.

Dienstag, 30. November 2010

Journal :: 26.11.2010

Als die Eltern vom J. fahren, bin ich ein wenig erschöpft. Ich mag das nette, ältere Ehepaar aus einem Dorf bei Hannover, der Besuch war auch kurz und nicht so besonders strapaziös, aber ein wenig müde bin ich doch. Ich würde ganz gern eine halbe Stunde einfach nur so auf dem Sofa sitzen und gegen die Wand starren, aber statt dessen fange ich an, eine Erbsen-Kokos-Suppe zu kochen, Roastbeef zu parieren und eine Cumberlandsauce zu rühren. Auf dem Herd steht eine Portweinreduktion und füllt den ganzen Raum mit Duft.

Ob auch ich einmal so werde, wenn ich alt bin, frage ich mich und weiß nicht einmal genau, was "so" in diesem Zusammenhang eigentlich bedeutet. In einem Punkt aber weiß ich, dass ich nie so werden will: Immer, schwöre ich mir und löse Johannisbeergelee in dem Portwein auf und reibe Orangenschale von einer straffen, saftstrotzenden Frucht. Immer will ich mir selbst am Wichtigsten sein und am Nächsten. Nie will ich meinen Freund oder meine Kinder oder sonst irgendwen so brauchen, dass ohne diese Menschen meine Tage leer wären und grau. Immer will ich für mich selbst ein Fest sein und feiern, und alle, die ich liebe, sollen mir wichtig sein, ohne dass mein Leben und mein Glück ohne diese Menschen nicht funktionierte.



Benutzer-Status

Du bist nicht angemeldet.

Neuzugänge

nicht schenken
Eine Gießkanne in Hundeform, ehrlich, das ist halt...
[Josef Mühlbacher - 6. Nov., 11:02 Uhr]
Umzug
So ganz zum Schluss noch einmal in der alten Wohnung auf den Dielen sitzen....
[Modeste - 6. Apr., 15:40 Uhr]
wieder einmal
ein fall von größter übereinstimmung zwischen sehen...
[erphschwester - 2. Apr., 14:33 Uhr]
Leute an Nachbartischen...
Leute an Nachbartischen hatten das erste Gericht von...
[Modeste - 1. Apr., 22:44 Uhr]
Allen Gewalten zum Trotz...
Andere Leute wären essen gegangen. Oder hätten im Ofen eine Lammkeule geschmort....
[Modeste - 1. Apr., 22:41 Uhr]
Über diesen Tip freue...
Über diesen Tip freue ich mich sehr. Als Weggezogene...
[montez - 1. Apr., 16:42 Uhr]
Osmans Töchter
Die Berliner Türken gehören zu Westberlin wie das Strandbad Wannsee oder Harald...
[Modeste - 30. Mär., 17:16 Uhr]
Ich wäre an sich nicht...
Ich wäre an sich nicht uninteressiert, nehme aber an,...
[Modeste - 30. Mär., 15:25 Uhr]

Komplimente und Geschenke

Last year's Modeste

Über Bücher

Suche

 

Status

Online seit 7590 Tagen

Letzte Aktualisierung:
15. Jul. 2021, 2:01 Uhr

kostenloser Counter

Bewegte Bilder
Essais
Familienalbum
Kleine Freuden
Liebe Freunde
Nora
Schnipsel
Tagebuchbloggen
Über Bücher
Über Essen
Über Liebe
Über Maschinen
Über Nichts
Über öffentliche Angelegenheiten
Über Träume
Über Übergewicht
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren
development