Öffentliche Einöden
Beate Heine, Dramaturgin der Schaubühne, die ich selten aufsuche, sieht das Gegenwartstheater von der Kritik zu wenig geliebt. Sie moniert eine Rückwärtsgewandtheit der Kritik, die dem Theater als Ort eines politischen Verständnisses von Kultur in enger Anbindung an die Populärkultur und den Zeitgeist nicht gerecht würde.
An diesen Worten ist dabei leider nur eines wahr – die Theaterkritik ist in einem dermaßen niedrigen Zustand, dass der unglaublichen geistigen Einöde der meisten Theaterinszenierungen beim Lesen der Besprechung gleich der nächste Schlag nachfolgt. Das Verständnis des Theaters, das Beate Heine offeriert, dürfte aber ein wesentlicher Grund dafür sein, dass seine öffentliche Rezeption so miserabel geworden ist, dass sich kaum jemand über die unfähige Kritik beschwert.
Bei der Erwähnung eines „politischen Verständnisses von Kultur“ fallen mir auf der Stelle die Augen zu. Es gibt eine Menge politischer Stücke – und darunter sollen sich sogar einige Sehenswerte befinden. Jeder, der „Wilhelm Tell“ dieser Dimension berauben würde und etwa eine Klamotte auf die Bühne brächte, verdient zu recht die volle Verachtung von Frau Heine, und da schmeiße ich meine gern mit dazu. Wer allerdings glaubt, durch plumpe Parallelen im Rahmen der Ausstattung oder textliche Veränderungen oder Einschübe die Aktualität des Stückes dem Publikum wie eine Torte ins Gesicht zu werfen – der hat nicht etwa die politische Dimension des Stückes herausgearbeitet. Der weiß nicht, was Theater ist und hält das Publikum offenbar für eine Versammlung von Volltrotteln, das ohne die Verlesung längerer Passagen der Briefe Rosa Luxemburg´s nicht weiß, was uns der Dichter mit der „Mutter“ mitteilen möchte. Glanz und Scheitern des politischen Theaters sind auch nicht erst seit gestern bekannt. In den Inszenierungen Piscators ist schon alles dabei – inklusive des die Internationale grölenden Bürgertums, das deswegen nicht einen Revolutionär weniger erschießen ließ.
Dass das Theater kein politischer Raum sein sollte, liegt dabei eigentlich auf der Hand. Kein Ort, an dem die Mehrzahl der Anwesenden schweigt, sollte das sein. Es gibt eine Menge denkbarer Labore des gesellschaftlichen Umbruchs, und es ist bedauerlich, dass etwa die Unis diese Aufgabe nicht besser wahrnehmen. Es gibt aber keinen Grund, warum das Theater zu diesen Laboren gehören sollte.
Es versteht sich von selbst, dass Theater nur gegenwartsbezogen denkbar ist. Zur Gegenwart gehört zwingend und unterschiedslos die Populärkultur genauso wie die Hochkultur. Und zur Gegenwart gehört auch die Vergangenheit, die sich in einer Stadt wie Berlin, die aus dreckigen Vergangenheitsmythen und dreckiger Gegenwartswahrheit geradezu gebacken ist, nicht wegdenken lässt. Und zu dieser Vergangenheit gehört natürlich auch die Vergangenheit des Theaters. Es gibt hier keinen Konfrontationskurs, den das Theater abbilden müsste. Und der Akt des Erinnerns braucht auch keine „subversive Kraft“, sondern bloß die Kraft, im Wettstreit der bewegendsten Bilder, der treffsichersten und originellsten Interpretation gut abzuschneiden. Mit Werktreue hat das nichts zu tun, die mag gegeben sein oder auch nicht.
Diejenigen, die auf der Bühne nicht Stücke inszenieren wollen, sondern Botschaften vermitteln, Experimente um ihrer selbst willen wagen oder auf ominöse „Diskurse setzt“, erregen bei mir den Verdacht, eine Unfähigkeit zu bemänteln – die Unfähigkeit, Geschichten zu so zu erzählen, dass ich sie glaube.
Denn das suche ich im Theater. Ich will mir von der Liebe erzählen lassen, und vom Scheitern, das in den hoffnungsvollen Anfängen liegt. Vom Unglück des Altwerdens in einer Dschungelsimulation, die so unecht ist, wie das Leben, das ich manchmal führe. Ich will die Verzweiflung sehen, den Verrat und den Mord, die Macht und das Elend. Bestenfalls: Tua res agitur. Im schlechtesten Fall eine mechanische Vorführung tausendmal gesehener Pseudoprovokationen, ein bißchen politische Rhetorik, ein paar Nackte, und dann hinaus in die Nacht.
Es ist mir völlig egal, welche Haltung das Theater zur Gegenwart und zu sozialen Umbrüchen einnimmt. Aber wenn ich aus dem Portal komme, das in meinem Fall in der Regel am Rosa-Luxemburg Platz steht, dann will ich versucht sein, mich auf der Stelle anbetend auf den Boden zu werfen. Und sollte das nicht der Fall sein, will ich mich wenigstens ordentlich streiten.
An diesen Worten ist dabei leider nur eines wahr – die Theaterkritik ist in einem dermaßen niedrigen Zustand, dass der unglaublichen geistigen Einöde der meisten Theaterinszenierungen beim Lesen der Besprechung gleich der nächste Schlag nachfolgt. Das Verständnis des Theaters, das Beate Heine offeriert, dürfte aber ein wesentlicher Grund dafür sein, dass seine öffentliche Rezeption so miserabel geworden ist, dass sich kaum jemand über die unfähige Kritik beschwert.
Bei der Erwähnung eines „politischen Verständnisses von Kultur“ fallen mir auf der Stelle die Augen zu. Es gibt eine Menge politischer Stücke – und darunter sollen sich sogar einige Sehenswerte befinden. Jeder, der „Wilhelm Tell“ dieser Dimension berauben würde und etwa eine Klamotte auf die Bühne brächte, verdient zu recht die volle Verachtung von Frau Heine, und da schmeiße ich meine gern mit dazu. Wer allerdings glaubt, durch plumpe Parallelen im Rahmen der Ausstattung oder textliche Veränderungen oder Einschübe die Aktualität des Stückes dem Publikum wie eine Torte ins Gesicht zu werfen – der hat nicht etwa die politische Dimension des Stückes herausgearbeitet. Der weiß nicht, was Theater ist und hält das Publikum offenbar für eine Versammlung von Volltrotteln, das ohne die Verlesung längerer Passagen der Briefe Rosa Luxemburg´s nicht weiß, was uns der Dichter mit der „Mutter“ mitteilen möchte. Glanz und Scheitern des politischen Theaters sind auch nicht erst seit gestern bekannt. In den Inszenierungen Piscators ist schon alles dabei – inklusive des die Internationale grölenden Bürgertums, das deswegen nicht einen Revolutionär weniger erschießen ließ.
Dass das Theater kein politischer Raum sein sollte, liegt dabei eigentlich auf der Hand. Kein Ort, an dem die Mehrzahl der Anwesenden schweigt, sollte das sein. Es gibt eine Menge denkbarer Labore des gesellschaftlichen Umbruchs, und es ist bedauerlich, dass etwa die Unis diese Aufgabe nicht besser wahrnehmen. Es gibt aber keinen Grund, warum das Theater zu diesen Laboren gehören sollte.
Es versteht sich von selbst, dass Theater nur gegenwartsbezogen denkbar ist. Zur Gegenwart gehört zwingend und unterschiedslos die Populärkultur genauso wie die Hochkultur. Und zur Gegenwart gehört auch die Vergangenheit, die sich in einer Stadt wie Berlin, die aus dreckigen Vergangenheitsmythen und dreckiger Gegenwartswahrheit geradezu gebacken ist, nicht wegdenken lässt. Und zu dieser Vergangenheit gehört natürlich auch die Vergangenheit des Theaters. Es gibt hier keinen Konfrontationskurs, den das Theater abbilden müsste. Und der Akt des Erinnerns braucht auch keine „subversive Kraft“, sondern bloß die Kraft, im Wettstreit der bewegendsten Bilder, der treffsichersten und originellsten Interpretation gut abzuschneiden. Mit Werktreue hat das nichts zu tun, die mag gegeben sein oder auch nicht.
Diejenigen, die auf der Bühne nicht Stücke inszenieren wollen, sondern Botschaften vermitteln, Experimente um ihrer selbst willen wagen oder auf ominöse „Diskurse setzt“, erregen bei mir den Verdacht, eine Unfähigkeit zu bemänteln – die Unfähigkeit, Geschichten zu so zu erzählen, dass ich sie glaube.
Denn das suche ich im Theater. Ich will mir von der Liebe erzählen lassen, und vom Scheitern, das in den hoffnungsvollen Anfängen liegt. Vom Unglück des Altwerdens in einer Dschungelsimulation, die so unecht ist, wie das Leben, das ich manchmal führe. Ich will die Verzweiflung sehen, den Verrat und den Mord, die Macht und das Elend. Bestenfalls: Tua res agitur. Im schlechtesten Fall eine mechanische Vorführung tausendmal gesehener Pseudoprovokationen, ein bißchen politische Rhetorik, ein paar Nackte, und dann hinaus in die Nacht.
Es ist mir völlig egal, welche Haltung das Theater zur Gegenwart und zu sozialen Umbrüchen einnimmt. Aber wenn ich aus dem Portal komme, das in meinem Fall in der Regel am Rosa-Luxemburg Platz steht, dann will ich versucht sein, mich auf der Stelle anbetend auf den Boden zu werfen. Und sollte das nicht der Fall sein, will ich mich wenigstens ordentlich streiten.
von: Modeste Schublade: Datum: 17. Jan. 2005, 21:01 Uhr
"Kein Ort,
Vielen Dank für diese kluge An- und Einsicht.