Das Bittere und das Saure
„Hast du deinen Bruder erreicht?“, frage ich die C., die beruhigenderweise nickt. Alles in Ordnung. Aufatmen. In den Gläsern klirren die Eiswürfel leise und melodisch aneinander, und als die Musik angeht, sprechen wir ein bißchen über dieses sonderbare Gefühl, dass diese Menschen den Westen, dieses inhomogene Gebilde, hassen für exakt die Dinge, die auf Freiwilligkeit beruhen, und bei denen keiner mitmachen muss: Die Wahlfreiheit über sein Leben zu haben, mit sich, seinem Körper, seinen Leidenschaften zu tun und zu lassen, was man will. Keiner zwingt die bärtigen, verkniffenen Männer aus der Zeitung dazu, der neuesten Prada-Kollektion zu verfallen, niemand zwingt ihre Frauen, statt riesiger schwarzer Stoffsäcke bauchfrei und gepierct mit einem Mojito in der Hand auf den Tischen zu tanzen. Niemand weist diese Leute an, statt an einen Gott und seinen Propheten an viele Götter oder gar keinen Gott zu glauben, und Erlösung nicht im Gebet, sondern bei Wal-Mart zu suchen.
„Diese Leute,“, meint der O., „haben die Relativität der Zeichenwelt nie verstanden.“, und ordert einen Kir Royal. Mangels einer noch irgendwie weltumspannend Verbindlichkeit beanspruchenden Idee, wie es Gott für das Mittelalter war, oder die Revolution und der Fortschritt für die Moderne, könne von einer irgendwie gearteten ideellen Hegemonie ohnehin nicht mehr die Rede sein. Auch The American Way Of Life sei daher nur so einflussreich, wie jeder ihm eben zugestehe, und dass die Bewohner der Slums dem Mythos von Beverly Hills begehrlich und hasserfüllt aufsäßen, sei schließlich nicht weiter erstaunlich. „Macht gibt es eben immer nur im Kopf.“, sage ich, ein bißchen unbehaglich, weil es dort nicht stimmt, wo die Macht der Zeichen auf die körperliche Ebene überschwappt.
„Am meisten nerven mich eigentlich die geistigen Konzessionen, diesen Verständniskotau, den die Weichspülpresse so absondert.“, meint der O., und die C. nickt: Das entschuldigende Gerede von der miesen wirtschaftlichen Lage in manchen Regionen und dem Erbe des Kolonialismus: Ganz so, als seien Missgunst und Vergeltung in irgendeiner Weise berechtigte Empfindungen, deren Emanationen man in ihrer Intensität missbilligen könne, die aber dem Grunde nach nicht völlig abwegig seien. - Der reflexhafte Verweis auf die Politik der USA oder Israels, oft geprägt von einer puren, grundsätzlichen Gegnerschaft, die über Kritik im Detail weit hinausgeht, und im schlimmsten Fall geprägt ist von hämischer Opposition: Sündenfall der politischen Linken.
„Lass´ uns über was Angenehmes reden.“ sage ich, und wir bestellen bei der Kellnerin im viel zu kurzen Rock und mit den wippenden Zöpfen Gin Tonic und trinken auf unsere Welt mit ihren schneidenden Kanten und Widersprüchen, ihrer brausenden, wortreichen Leere, die wir füllen können, wie immer wir lustig sind. Auf die Freiheit, zwischen vielen Leben wählen zu können, und von heute auf morgen fortzugehen. Auf die Freiwilligkeit, die unseren menschlichen Beziehungen zugrundeliegt: Das Geschenk, das darin besteht, dass jeder, der mit uns seine Abende verbringt, dies ganz und gar freiwillig tut. Das Glück eines Lebens, dass auch dann, wenn es keinen postmortalen Ausgleich gibt, ein Gelungenes gewesen sein wird: Hier im orangefarbenen Licht, das Lächeln auf dem Weg an der Bar vorbei, die Musik, die einen weich umspült, und ein wenig bitter und säuerlich allein die glasklare Füllung der Gläser zwischen den Eiswürfeln an einem Abend in Mitte.
„Diese Leute,“, meint der O., „haben die Relativität der Zeichenwelt nie verstanden.“, und ordert einen Kir Royal. Mangels einer noch irgendwie weltumspannend Verbindlichkeit beanspruchenden Idee, wie es Gott für das Mittelalter war, oder die Revolution und der Fortschritt für die Moderne, könne von einer irgendwie gearteten ideellen Hegemonie ohnehin nicht mehr die Rede sein. Auch The American Way Of Life sei daher nur so einflussreich, wie jeder ihm eben zugestehe, und dass die Bewohner der Slums dem Mythos von Beverly Hills begehrlich und hasserfüllt aufsäßen, sei schließlich nicht weiter erstaunlich. „Macht gibt es eben immer nur im Kopf.“, sage ich, ein bißchen unbehaglich, weil es dort nicht stimmt, wo die Macht der Zeichen auf die körperliche Ebene überschwappt.
„Am meisten nerven mich eigentlich die geistigen Konzessionen, diesen Verständniskotau, den die Weichspülpresse so absondert.“, meint der O., und die C. nickt: Das entschuldigende Gerede von der miesen wirtschaftlichen Lage in manchen Regionen und dem Erbe des Kolonialismus: Ganz so, als seien Missgunst und Vergeltung in irgendeiner Weise berechtigte Empfindungen, deren Emanationen man in ihrer Intensität missbilligen könne, die aber dem Grunde nach nicht völlig abwegig seien. - Der reflexhafte Verweis auf die Politik der USA oder Israels, oft geprägt von einer puren, grundsätzlichen Gegnerschaft, die über Kritik im Detail weit hinausgeht, und im schlimmsten Fall geprägt ist von hämischer Opposition: Sündenfall der politischen Linken.
„Lass´ uns über was Angenehmes reden.“ sage ich, und wir bestellen bei der Kellnerin im viel zu kurzen Rock und mit den wippenden Zöpfen Gin Tonic und trinken auf unsere Welt mit ihren schneidenden Kanten und Widersprüchen, ihrer brausenden, wortreichen Leere, die wir füllen können, wie immer wir lustig sind. Auf die Freiheit, zwischen vielen Leben wählen zu können, und von heute auf morgen fortzugehen. Auf die Freiwilligkeit, die unseren menschlichen Beziehungen zugrundeliegt: Das Geschenk, das darin besteht, dass jeder, der mit uns seine Abende verbringt, dies ganz und gar freiwillig tut. Das Glück eines Lebens, dass auch dann, wenn es keinen postmortalen Ausgleich gibt, ein Gelungenes gewesen sein wird: Hier im orangefarbenen Licht, das Lächeln auf dem Weg an der Bar vorbei, die Musik, die einen weich umspült, und ein wenig bitter und säuerlich allein die glasklare Füllung der Gläser zwischen den Eiswürfeln an einem Abend in Mitte.
von: Modeste Schublade: Datum: 8. Jul. 2005, 10:43 Uhr
Perspektivwechsel
Boat" (eine Nacht 1000 Dollar) ein Passagier mit der Videokamera ein paar Bootsleute
filmte, die barfuß am Ufer saßen und Tee tranken, während ihre Kinder in Sichtweite
bettelten. Elend ist ja so pittoresk. Ich hätte mir bei diesem Anblick, den ich
herrzzerreißend fand, gewünscht, ein entfesselter Mob hätte das Schiff gestürmt, um
mal ein bißchen Umverteilung zu machen. Arme Ägypter, mit denen wir Backgammon
spielend in einem Hirtencafè zusammensaßen, hielten uns für Jugoslawen, weil sie sich
bisher nicht vorstellen konnten, dass Deutsche mit ihnen redeten. Für sie waren
Europäer durch die Bank fürchterlich reiche Touristen, die alle Sitten und jede
Etikette mißachteten und die einfachen Menschen verachteten, als seien sie nur Vieh.
Vor einem solchen Hintergrund kann ich gut nachvollziehen, woher ganz am Anfang
die Bombenleger ihre Ideen hatten. Wie gesagt: Nachvollziehen, nicht billigen.
Der Wahnsinn ist ja, dass
die Anschläge in New York, Madrid und London ausgesprochen multikulturelle
Gesellschaften trafen, da waren ja auch Muslime unter den Opfern.
Es kümmert die Langbärte nicht, die teils durchgedrehte Upperclasssöhne
(bin Laden & Co), teils eine fleischgewordene Kriegsneurose (Taliban & friends)
sind, denen ist jedes Mitleid fremd. Aber Zivilisten in Bagdad zu bombardieren,
ist das gerechter, zivilisierter, humaner? Solange Familien in den Straßen von Kairo,
Karthoum oder Djakarta auf dem Straßenpflaster schlafen müssen und der Westen
zugleich seinen Reichtum, seine Offenheit, seine Pluralität zur Schau trägt, aber die
Grenzen für Armutsflüchtlinge dicht macht, wird der Krieg weitergehen.
Keine mildernden Umstände
In diesem Zusammenhang von "Krieg" zu sprechen, finde ich im übrigen fast zynisch. Hier geht es nicht um bewaffnete Konflikte zwischen Staaten. Und wie schreiend ungerecht auch immer, wie skandalös auch immer, die Lebensumstände eines Menschen sein mögen: Nichts berechtigt ihn dazu, so etwas zu tun, oder auch nur mildernde Umstände zu genießen: Unrecht mag mit Unrecht in einem Ursache-Wirkungszusammenhang stehen, eine Art moralischer Verrechnung ist mir von Grund auf fremd.
eines Gottesdiktatur wollen, finde ich ebenso erschreckend wie Du, ich finde es auch
richtig, gegen die vorzugehen, aber die ursprünglichen sozialen Wurzeln liegen woanders.
Wie würdest Du Dich denn verhalten, wenn jemand in ein Café kommt, in dem Du gerade
sitzt, Dich beim Essen filmt, beim Weitergehen zotige Witze reisst, die jedes landesübliche
Schamgefühl verletzen, und das erlebst Du ein paar Mal am Tag, und zwar täglich?
Ungefähr so kommen viele europäische Wohlstandstouristen bei traditionell islamisch
geprägten Menschen in ihren Heimatländern an. Ich habe traditionell islamisch
geprägten Gesellschaften mit ihrer furchbaren Frauenunterdrückung und ihrem
finsteren Tribalismus nichts, aber auch gar nichts abzugewinnen und fühle mich mit
meinem westlichen Lebensstil sehr wohl. Aber wer sich Jahrhunderte benimmt wie
ein Kampfstier im Porzellanladen, muss sich nicht wundern, wenn eines Tages ein
Porzellanladenbesitzer Amok läuft.
Mildernde oder erschwerende Umstände sind mir egal, ich sehe die Sache mit dem
analytischen Blick des Ethnologen/Anthropologen(Soziologen/Historikers.
Und liebe Modeste, was heißt hier zynisch, von Krieg zu sprechen? Ich bin der Überzeugung, dass der 11. September 2001 der Beginn des Dritten Weltkriegs war, der nicht als Krieg im herkömmlichenb Sinne geführt wird, sondern von einem weltweiten Terrornetzwerk mit unbeschreiblich brutalen Anschlägen gegen Zivilisten und von den Staaten der westlichen Welt und Rußland teils als konventioneller Krieg (Afghanistan, Irak), teils mit staatlichen Formen des Terrors (Tschetschenien, Guantanamo, Foltern lassen bei Freunden). Die Gotteskrieger sind jahrzehntelang von US-Geheimdiensten aufgebaut und gehätschelt worden, um a) gegen die Sowjets in Afghnaistan un d b) gegen die arabische Linke vorzugehen, der sie mit großen Erfolg, als sie stark genug waren, die Gefolgschaft abgeworben haben. Bin Laden ist doch nur ein Kettenhund des US-Imperialismus, der sich losgerissen hat und jetzt Herrchen die Kehle durchbeißen will. Hermann L. Gremliza hatte es treffend ausgedrückt, als er zu Clintons Äußerung nach den Anschlägen von Daressalam und Mombasa, er werde die Verantwortlichen zur Strecke bringen, kommentierte, das sei merkwürdig, einige der Verantwortlichen hätten ja gerade um ihn herum gestanden.
Kulturelle Unsensibilität gehört auch nicht gerade zu denjenigen Verhaltensweisen, die "der Westen" gepachtet hat, und dass es derart in ihrem kulturellen Stolz beleidigte Menschen wären, die eines Tages losziehen, ein Gottesreich herbeizubomben, sehe ich nicht. Man kann und sollte solchen Reisenden jeden erdenklichen Vorwurf machen - aber die Erzeugung von "Gotteskriegern" sehe ich da nicht, sondern lediglich schlechte Erziehung. Ich gehe auch (ungern und selten) durch einige Viertel dieser Stadt, ohne es mir angesichts gaffender und teilweise beleidigender und sogar zudringlicher Jugendlicher, die häufig aus dem östlichen Mittelmeerraum stammen, mit der EU-Mitgliedschaft der Türkei noch einmal zu überlegen.
Ich lese ungern Ausdrücke wie "US-Imperialismus", und werde es zukünftig vielleicht auch hier so halten wie an meinem Esstisch: Politische Lieder werden woanders gesungen. Und die Gastgeberin, so sehr es ihr manchmal die Zunge juckt, hält einfach den Mund.