Freitag, 5. November 2010

Journal :: 03.11.2010

Vor der Tür eine kurze Minute des Schrecks. Der Schlüssel passt nicht, die Tür geht nicht auf. Ratlos, ein wenig müde um kurz nach neun stehe ich vorm Eingang und überlege, was zu tun sein wird, wenn es dabei bleibt.

Noch vor einigen Jahren hätte ich Freunde angerufen und auf deren Couch übernachtet. Morgen hätte der J. mir den Schlüssel ins Büro geschickt, ganz unkompliziert wäre das gewesen, aber nun sitzen die Katzen hinter der verschlossenen Tür und haben Hunger. Ich kann nicht wegbleiben. Ich greife nochmals nach dem Knauf.

Auch beim zweiten Versuch hakt das Schloss. Einen Schlüsseldienst müsste ich wohl anrufen, der dann käme, mürrisch, wie es den Berliner Dienstleistern entspricht, und mit wegwerfender Geste die Tür öffnen würde und hielte die Hand auf. € 350 ohne Rechnung. € 420 mit.

Schließlich greift ein Nachbar nach der verschlossenen Tür. Die Haustür öffnet sich. Von innen drehe ich den Schlüssel noch einmal im Schloss, laufe die Treppen hoch und stehe im Flur, erleichtert und müde.

Donnerstag, 4. November 2010

Journal :: 02.11.2010

Als ich mein Fahrrad losmache, schaue ich mich um. Die anderen Gäste der Veranstaltung sind - es ist irgendwann so gegen 23.00 Uhr - auf dem Weg zur Bahn. Einige sind mit dem Auto da, man schüttelt ein paar Hände, lacht. Dann verlieren sich die bekannten Gesichter irgendwo auf den Straßen von Mitte. Ich fahre heim.

Was die anderen Teilnehmer dieser oder anderer Termine, Leute, die mich oberflächlich kennen und grüßen, von mir halten, habe ich mich schon manchmal gefragt. Ob man mich eigentlich mag. Ob man mich professionell schätzt oder auch nur ernst nimmt. Ob man mich charmant findet. Ob Leute darüber sprechen, wie ich aussehe. Was ich sage oder nicht.

Mir war es halt nie egal, was Menschen von mir denken. Ich bin kein sonderlich unabhängiger Kopf. Ich wollte immer gefallen. Mir hat es nie gereicht, wenn mich nur diejenigen mögen, die ich kenne und mag. Natürlich, es ist dumm, sich so angreifbar zu machen für Personen, mit denen man nichts zu tun hat, und das manchmal mit gutem Grund. Ich habe zu alledem vielleicht noch eher weniger Talent als andere, gemocht zu werden. Ich bin nicht so Konsens wie mancher andere, und selbst die, die mich schätzen, finden mich vermutlich eher patent als reizend. Meistens ist mir das nicht bewusst, aber gestern abend, auf dem Weg heim von Mitte nach Hause, anlasslos einfach so aus dem Nichts, tut es mir ein wenig leid um das, was mir fehlt.

Mittwoch, 3. November 2010

Journal :: 01.11.2010

Io sono l'amore ist ein schöner Film. Das entfärbte Mailand. Die makellose Eleganz der Tilda Swinton als Industriellengattin inmitten ihrer drei gut aussehenden Kinder. Die Kühle der Stadt, der Ehe, der Bourgeoisie als Lebensform in einem Haus, dessen Stil nicht mehr ganz zeitgemäß ist, dreißig, vierzig Jahre alt bestimmt, und so kalt wie eine Festung. Es ist ein schönes Leben, ein gepflegtes Existieren, aber kein angenehmes, und die Liebe zu einem jungen Mann, die in das Leben der Hausherrin bricht als ein Glück und eine Katastrophe zur gleichen Zeit, ist ganz Kontrapunkt, das völlig andere, Natur und Leben, und so intensiv, wie wir alle leben, wenn wir lieben.

Man sollte immer lieben, denke ich auf dem Heimweg nach den Antipasti im Gorgonzola Club auf dem Weg heim in den Prenzlauer Berg. Man sollte nie ungeliebt schlafen gehen, putze ich mir die Zähne und schlafe zu spät, wie jede Nacht, und träume von dem, der mich liebt.

Dienstag, 2. November 2010

Journal :: 31.10.2010

Damals, mein Kind, als die Kalorien noch gar nicht erfunden waren, tat man an Krautfleckerl nicht nur mageren Schinken ganz ohne Fett wie ich gestern. Meine Großmutter - Du hast sie nicht mehr kennengelernt - kaufte beim Metzger statt dessen durchwachsenen Speck und der Metzger schnitt ein sieben oder acht Zentimeter breites Stück von einer ganzen Speckseite. Das würde gewürfelt.

Meine Großmutter hatte Messer, so große Messer kann man heute kaum mehr kaufen. Überhaupt war alles in ihrer Küche etwas größer. Ihr größter Topf ging mir bis zum Bauch. Die Familien waren größer als heute, es aß aber auch jeder für sich viel mehr. Der Speck war deswegen gerade richtig portioniert für vier: Mein Cousin, meine Schwester, meine Großmutter selbst und ich.

Während meine Großmutter den Speck mit dem großen Messer in Würfel schnitt, schnitt ich mit einem kleinen Messer Zwiebeln. Für Krautfleckerl muss man die Zwiebeln nicht so fein schneiden. Am besten ist es, die Zwiebelstückchen sind so groß wie das gehobelte Kraut. Man braucht mindestens zwei große gelbe Zwiebeln und einen kleinen Kohlkopf dazu.

Für Krautfleckerl nahm meine Großmutter eine ganz große, weiße Pfanne mit einem hohen Rand. Keiner weiß, wo diese Pfanne geblieben ist. Vielleicht ist sie weggeworfen worden. Mir tut das leid. Ich habe keine solche Pfanne, ich nehme eine runde Pfanne von Le Creuset, aber da passt nur ein Essen für zwei hinein wie am Sonntag. Meine Großmutter kochte nie für weniger als eine Großfamilie und eventuell überraschenden Besuch und hatte aus Prinzip nur riesige Töpfe und gigantische Auflaufformen und hätte über weniger als drei Kilo Gulasch wahrscheinlich nur gelacht.

In der riesigen Pfanne ließ meine Großmutter den Speck aus. Das sah gut aus. Das Fett floss auf dem Herd aus allen Seiten aus dem Speck. Wenn es anfing zu brutzeln, schüttete die Großmutter Zucker dazu. Den Zucker verwahrte sie in der linken Schütte im weißen Schrank. Dann wurde gerührt. Meine Großmutter trug eine Schürze, wenn sie rührte. Wenn es spritzen konnte, trug sie ein Kopftuch, und auch ich hatte eine kleine Schürze um, rot mit weißen Tupfen.

Wenn der Zucker braun war, kamen die Zwiebeln dazu. Später das Kraut und der Kümmel. Kümmel hatte meine Großmutter in einem ziemlich fleckigen Ubena-Döschen, das ab und zu nachgefüllt wurde. Die Fleckerl waren schon fertig, die kamen erst ziemlich zum Schluss und warteten in einer weiß emaillierten Schale mit blauem Rand auf ihre Verwendung. Bis dahin musste es die ganze Zeit ziemlich laut brutzeln und duften. Ohne duftende Dampfwolken ist so ein Essen nicht richtig, und deswegen stand das Fenster die ganze Zeit weit offen. Aus dem Küchenfenster konnte man in den Garten schauen, über die Teppichstange in den Hof und dann über die Beete. Der schöne Garten mit den Blumen war zur anderen Seite hinaus.

Wenn die Fleckerl auch schon bräunten, deckte ich den Tisch. Meine Großmutter hatte für Alltags ein geblümtes Service, mehr so Sechziger, und ein einfaches, elfenbeinfarbenes mit Goldrand. Jeder bekam eine Serviette in einem Strohring. Außer Sonntags gab es kein Silber, sondern nur WMF. Auf dem Tisch standen immer ein paar Blumen, die pflückte meine Großmutter im Garten und nahm jeden Morgen die verblühten Blumen aus dem Strauß und steckte neue dazwischen.

Wenn ich mit dem Eindecken fertig war, schlug ich den Gong. Nur auf den Gongschlag kamen alle zum Essen, denn nur der Gong war wirklich überall zu hören. Wer den Gong nicht hörte, war taub oder tot. Meine Großmutter schmeckte derweil die Krautfleckerl mit Essig ab und verrührte saure Sahne mit Schnittlauch. Meistens dekorierte sie noch den Nachtisch (Flammeri, Gelee, vielleicht auch Grieß) mit ein paar frischen Früchten. Manchmal schlug sie noch ein bißchen Sahne dazu, denn die Kalorien, mein Kind, waren ja noch gar nicht erfunden.

Montag, 1. November 2010

Journal :: 30.10.2010

Gegen 23.00 Uhr schwöre ich mir, nie wieder etwas anderes als höchstens eine völlig entfettete klare Suppe zu essen. Dazu ein lauwarmes Glas Wasser. Fachinger wäre gut. Sehe ich mich um, so sieht es bei den anderen nicht wesentlich anders aus. Der M. hängt mehr auf dem Sofa als er sitzt. Seine schwangere Freundin hat schon während des Essens kurz erwähnt, dass so langsam der Abschnitt der Schwangerschaft erreicht sei, in dem man ohnehin nicht mehr viel essen könne, weil das Kind den Magen so zusammendrücke. Der J. ächzt an meiner Seite ab und zu etwas, was wie "Mascarpone ..." klingt, und die Gastgeberin I. und ihr Mann bieten ab und zu Getränke an, aber selbst die übertreffen gerade mein Fassungsvermögen in nicht unwesentlichem Maße. Ich habe zu viel gegessen.

Weil man bei der I. immer gut und nie wenig zu essen bekommt, habe ich mittags nur einen Salat mit Weintrauben und Pinienkernen und ein paar gebackene Kürbisspalten gegessen. Nicht einmal Kuchen habe ich nachmittags gehabt, schon in der S 9 Richtung Schönefeld habe ich richtiggehend Hungergefühle gehegt, und bei der I. eingetroffen sofort in alle Töpfe geschaut. Das Essen sah fertig zubereitet aus. Ich war richtig erleichtert.

Auf dem Tisch stand ein geschnitzter Kürbis. In dem Topf war eine Kürbissuppe. Die Kürbissuppe enthielt Kastanien und war sehr gut. Nach der Kürbissuppe war ich quasi satt. Das Kalbsschnitzel und den Kartoffelsalat mit grünem Salat danach habe ich trotzdem gegessen und den Kaiserschmarrn habe ich auch nicht abgelehnt. Der Kaiserschmarrn - das habe ich noch nie gesehen - wurde mit Mascarpone zubereitet und war herrlich saftig und luftig und viel, viel besser als mein Kaiserschmarrn, der aus Mehl, Eiern, Vanille und Zucker und so einem MIlch/Sahnegemisch besteht.

Nach dem Essen hätte ich gern einen Magenbitter getrunken, wenn ich solche Getränke vertrüge. Auch eine Vollnarkose wäre nicht schlecht, aber statt dessen trinke ich ganz, ganz langsam eine Bionade nach der anderen und führe mit den gleichfalls mächtig übersättigten Gastgebern plus M. und M. kalorienbetäubte, etwa träge Gespräche mit langen Pausen, die Gisbert zu Knyphausen mit äußerst verlangsamten Gesängen füllt. Noch im Taxi nach Haus ist mir ein bißchen übel. Ich glaube, ich habe irgendetwas eher Sonderbares geträumt.



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