Sonntag, 31. Oktober 2010

Journal :: 29.10.2010

Freitag ist der Tag der Rituale. Ich kenne ein Paar, das geht jeden Freitag ins Kino. Ein anderes Paar holt sich auf dem Weg vom Büro heim einen Film, bei der Weinhandlung nebenan eine richtig gute Flasche Wein und setzt sich damit aufs Sofa. Eine Freundin von mir kauft jeden Freitag in der Mittagspause etwas Gutes zum Essen und einen Haufen Illustrierte ein, legt sich abends daheim sofort in die Badewanne, isst anschließend im Bett alles auf und blättert in den Journalen. Der J. und ich gehen jeden Freitag essen.

So richtig mit Reservierung und vorher nachschauen schaffen wir allerdings nie. Im engeren Sinne geplant sind die Abende auch nicht. Meistens telefonieren wir so gegen 17.00 Uhr. Ich teile dem J. dann mit, der Kühlschrank sei leer. Der J. antwortet, er habe jetzt auch keine Luft, einkaufen zu gehen, und gemeinsam beschließen wir, irgendwo etwas zu essen. Für eine sorgfältig erwogene Auswahl ist es dann zum einen zu spät, zum anderen wollen wir auch nirgendwo hin, wo man noch extra hinfahren muss, und deswegen waren wir jahrelang jeden Freitag (oder zumindest so jeden zweiten) im Pappa e Ciccia. Das ist ein Italiener im Prenzlauer Berg.

Das Pappa e Ciccia ist jetzt kein so besonderer Italiener. Es schmeckt ganz gut da, der Service ist auch nett und herzlich, alles schön, lässig, aber nicht unelegant, doch der größte, der entscheidende Vorteil des Pappa e Ciccia bestand eigentlich in dem Umstand, dass er nahezu nebenan gelegen war. Jetzt allerdings sind wir umgezogen und dass Pappa e Ciccia ist ziemlich weit weg. Bestimmt 15 Minuten Radweg.

Unstet sind seither unsere Freitage. Im Brot und Rosen an der Ecke waren wir mehrfach, auch ein Italiener, aber da fehlt es an der fröhlichen Quirligkeit des Pappa e Ciccia, die Gäste wirken alle ein bißchen gedämpft, etwas Herbstliches wallt durch die Räume - wir sind da nicht so heimisch geworden. Für das Chez Maurice um die Ecke gilt etwas Ähnliches. Man isst ziemlich gut da, das ist es gar nicht. Es ältelt halt so ein bißchen. Es isst da oft nicht die nette, etwas aufgekratzte Nachbarschaft, sondern so ein wenig getragene Menschen, keine so reizvolle Umgebung, und so essen der J. und ich uns nun am Freitagabend etwas unbehaust durch den Prenzlauer Berg. Diesen Freitag waren wir einmal wieder im großartigen Filetstück (oh, das göttliche Pommersch Rind!), auch wenn da jedesmal am Nachbartisch irgendwelche Hornochsen lautstark ihre Bedeutung in Kunst und Medien in die Welt posaunen. Den nächsten Freitag geht es vielleicht wieder ins Sasaya, wo man so großartig Sushi isst wie fast nirgendwo sonst, aber einen festen Hafen, einen Ankerplatz am Ende der Woche, einen Laden, den man nicht aushandeln oder wählen muss, kurz: Ein Pappa e Ciccia diesseits der Greifswalder Straße ist nicht in Sicht.

Samstag, 30. Oktober 2010

Journal :: 28.10.2010

Auf dem Weg heim dann ein perfekter Moment. Das weiche, gelbe Licht der alten Laternen. Die fast schon entlaubten Platanen. Das Rascheln von Laub. Ein einsamer Mann mit Hund, den Hände auf dem Rücken gefaltet, schaut auf und lächelt mir zu, als würden wir uns kennen, und umfangen von der sanften Schwärze der Nacht, auf der Brücke zwischen Westen und Osten für einen Herzschlag wunschlos und hingegeben an das fallende Jahr und die leisen Bässe vom Fluss bis weit in die einsamen Straßen.

Freitag, 29. Oktober 2010

Journal :: 27.10.2010

Tatsächlich Bowling. Ich bin dem Bowling ungefähr so zugetan wie dem Ku-Klux-Klan. Ich kann rein gar nichts, was mit Bällen zu tun hat, und ungefähr so ist dann auch das Ergebnis. Am besten funktioniert es noch, die Kugel sehr sacht mittig auf die Bahn aufzusetzen und zuzuschauen, wie sie dann ganz, ganz langsam Richtung Kegel rollt.

Ganz nett ist es trotzdem. Ich rede hier ein bißchen und da ein wenig. Ich trinke einen Liter Grapefruitschorle und frage mich, wieso sich dieses fabelhafte Getränk eigentlich nicht durchgesetzt hat. Irgendwann, nicht allzu spät, fahre ich heim.

Zu Hause Nudeln. Zwei Folgen West Wing und ein kurzer, unruhiger Schlaf.

Mittwoch, 27. Oktober 2010

Journal :: 26.10.2010

Neukölln also. Nicht der Wedding, der seit Jahren immer wieder hochgeschrieben wird, obwohl da keiner hinzieht. Das Problem an Neukölln: Es ist so weit weg wie nur irgend möglich. Zumindest, wenn man im Prenzlberg wohnt, fährt man am Alex vorbei, die Holzmarktstraße entlang und dann immer geradeaus. Moritzplatz. Prinzenstraße. Am Landwehrkanal links, an der Ankerklause vorbei und irgendwann ist man dann da.

Weil ich nie pünktlich bin, hat Frau Engl mich diesmal nicht in ein Lokal bestellt, sondern zu sich nach Hause. Erst als ich da bin, geht es los. Mariamulata heißt der Laden. Gemütlich ist es hier, wo erkennbar vor einiger Zeit noch ein Imbiss war, stehen jetzt Tische, warme Beleuchtung, eine Theke, es gibt spanischen und portugiesischen Wein und Tapas. Eine Tagessuppe gibt es auch, die lohnt sich aber nicht. Die Tapas sind ziemlich gut.

Wir bestellen, was das Zeug hält. Erst als ich gar nichts mehr essen kann, hören wir mit dem Bestellen auf. Vom netten Kellner bekommen wir noch einen Grappa aufs Haus. Schöne Augen hat er. Maximal 30 dürfte er sein, wie jeder in Neukölln, und kann so gut wie kein deutsch.

Bei Frau Engl bekomme ich noch einen Tee. Spät ist es geworden, als ich wieder heimfahre, durch den kalten, klaren Herbst. Auf dem Weg nach Hause wird es dunkel und still, und dort, wo fast schon am Park die Fenster schwarz sind und die Straßen leer, schließe ich mein Rad an. Ich bin zu Hause.

Journal :: 25.10.2010

Gegen drei Uhr nachts wache ich schlagartig auf. Auf meinem Brustkorb sitzt mein Kater und grinst wie die Cheshire Cat persönlich, nur dass in diesem Fall nicht nur das Grinsen anwesend ist, sondern auch die Katze selbst, und die Katze ist schwer. Ich kaufe doch wieder Diätfutter, ächze ich und schubse den Kater vom Bett.

Zwei Stunden später bin ich wieder wach. Mag sein, es ist der Vollmond. Vielleicht ist es aber auch einfach nur ein wüster Traum, in dem ein loser Bekannter vorkommt, der sich vor mir auszieht, erst den Mantel, dann den Anzug (ich habe ihn kaum jemals im Anzug gesehen), schließlich die Wäsche (American Apparel, rot) und am Ende die Haut. Rot, blutig und abgezogen strahlt er mich an, nicht ganz so grinsend wie der Kater, aber sichtlich vergnügt. Als er nach mir langt, weiche ich zurück. Er setzt nach. Heftiges Herzklopfen. Ich flüchte angstvoll und angewidert aus dem Traum in die Dunkelheit meines Schlafzimmers. Leicht benommen in meinem Bett sitzend erinnere ich mich an die ziemlich gute Musik im Traum, etwas basslastig, aber wirklich gut, und auf dem neuen Katzenbett sitzt der Kater, hellwach auch er. Er grinst nach wie vor, als sei er mir einen entscheidenden Schritt voraus.

Als ich wieder erwache ist es halb neun. Der Kater steht an der Bettkante, die Vorderpfoten auf dem Rahmen. Er blinzelt. Auch er scheint müde zu sein. Gegrinst, so viel steht fest, wird hier nur nachts.

Montag, 25. Oktober 2010

Journal :: 24.10.2010

Unfassbar. Man hätte nach zwanzig Minuten gehen sollen, als immer noch ein Trichter über der Bühne des Deutschen Theaters hing, durch den die Schauspieler sprachen. Nun steht - es ist ein Gastspiel - das Ensemble des Thalia-Theaters nebeneinander auf der Bühne und sagt die Rollen auf wie die Sänger in einer konzertant aufgeführten Oper.

Neben mir windet sich der J. Nun gut, Lessings Nathan war vielleicht noch nie der deutschen Literatur spannendstes Stück. Dass die Inszenierung von Stemann aber dermaßen quälend ausfallen würde, war nun auch wieder nicht klar. Es ist unfassbar und bodenlos grässlich.

Die Bühne ist so gut wie leer. Irgendwo auf der schwarzen Fläche stehen zwei Schreibtische, die Mikrofone, an denen die Schauspieler in Hose und Hemd stehen und sprechen, und als irgendwann sehr klassisch verkleidete Personen erscheinen, ist klar, dass ein Regisseur keinesfalls nun anfangen lassen kann, zu spielen, sondern irgendetwas anderes passieren muss. In diesem Fall bieten die Kostümierten einen Kommentar von Elfriede Jelinek dar. Ich wäre wirklich gern woanders. Der M., zwei Plätze neben mir, verlangt gut hörbar sein Geld zurück. Die M. neben ihm wirkt auch nicht so besonders erfreut.

Dass wir besser im Alt Wien geblieben wären und den aus reinen Zeitgründen nach dem Schnitzel nicht mehr bestellten Kaiserschmarrn nicht gegessen haben, bedauere wohl nicht nur ich gerade ganz erheblich. Ich hätte auch den ganzen Tag mit der J. weiterfrühstücken können, das wäre auch nicht übel, aber statt dessen quetsche ich mich ins Theater, das schon für meine 1,68 eigentlich nicht genug Platz bietet. Es ist gleichermaßen langweilig und peinlich. Da Regisseure aus irgendwelchen mir unbekannten Gründen ihr Publikum regelmäßig für bescheuert halten, hat auch Stemann diese Inszenierung ganz offensichtlich mit dem Holzhammer entworfen. Ideenlosigkeit und die fixe Idee, ein Theaterstück müsse möglichst originell auf die Bühne gebracht werden, gehen eine unverdauliche Melange ein, und das Beste, was sich über diese Inszenzierung sagen lässt, ist, dass sie um zehn endet.

Leicht benommen sitzen wir in den Schwarzwaldstuben und warten zwei geschlagene Getränke lang auf den Kaiserschmarrn der M. Dann laufen wir heim. Die Nacht ist wärmer als gedacht und der Mond leuchtet voll durch das gelbe, spärliche Laub.

Journal :: 23.10.2010

Man darf sich da nicht täuschen lassen: Es wird kalt. Von jetzt bis Ende April wird es brutal schneien und stürmen. Niederschläge in Berlins sind ja immer ein bißchen so wie Streuwaffeneinschlag. Außerdem wird es monatelang nicht richtig hell. Die Bürgersteige werden, weil keiner räumt, Eisbuckel tragen und sich auflehnen gegen die Fußgänger dieser Stadt. Wer das Haus verlässt wird auf der Stelle gefriergetrocknet werden, und wer irgendwohin hinfährt, gelangt höchstwahrscheinlich nicht mehr unbeschadet wieder heim. Es bedarf also Vorkehrungen. Der J. und ich haben uns bevorratet.

Was Lebensmittel angeht, haben wir im Wesentlichen Marmelade im Haus. Wir besitzen ungefähr 40 Gläser gute, hausgemachte Marmelade, denn der Mensch lebt nicht vom Brot allein, und außerdem sitzt im Erdgeschoss ein Bäcker. Was man aber im Haus haben sollte, ist etwas zu lesen. Ich war also im Antiquariat. Ich habe nun genug Bücher für sechs Wochen ohne Kontakt zur Außenwelt. Ich habe Romane aus drei Jahrhunderten und vier Kontinenten gekauft. Ich habe dicke Bücher von französischen Strukturalisten, falls ich es diesen Winter schaffen sollte, ein bißchen gebildeter zu werden, als ich es bin. Ich habe Bücher über politische Theorie und New York. Ich habe Bücher über berühmte Leute und wahnsinnige Erfindungen. Ich habe genug zu lesen. Das ist beruhigend.

Weil man nicht den ganzen Winter lesen kann, habe ich auch DVDs erworben. Wir haben keinen Fernseher; das Medium interessiert mich nicht so. Ab und zu will ich trotzdem Filme sehe. Wir kaufen also Batman Begins, Beeing John Malkovich, Prestige, noch ein paar Klassiker, ein bißchen was zum Lachen und eine Staffel West Wing. Die schauen wir gleich.

Drei Folgen später ist es spät. Ich gähne. Müde bin ich, eigentlich könnte ich auch schlafen, aber wenn ich schlafen gehe am Samstag um zwei, dann bin ich schon fast tot, dann ist fast Winter, dann bin ich eine alte Frau mit einem Buch und einer Teetasse, und so ziehe ich mich noch einmal an, male mir die Lippen, lächele probehalber in den Spiegel und fahre los. Taxi. Erst in die Bar drei, dann ins Lass uns Freunde bleiben. Dann schlafe ich ein. Der Winter wird lang. Vielleicht wird er niemals enden.



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