Freitag, 4. März 2011

Journal :: 29.02.2011

Auf dem Bett gelegen und an die Decke gestarrt. Die mit Farbe zu oft übermalte Rosette. Der neue Stuck, der nie ganz echt aussieht. Die grünen Vorhänge. Der Spalt zwischen Vorhang und Fenster, hinter dem die Nacht klafft wie ein schwarzes Loch. Da könntest du hineinfallen, sage ich mir, aber zum Fallen ist es viel zu spät. Die Nacht funkelt da draußen ohne mich.

Ein paar Seiten in Nicole Krauss Geschichte der Liebe, das schon ganz gut ist, aber nicht so gut, dass ich es in einem Zug durchlesen würde. Die ganzen Leute kenne ich schon, denke ich und lege mir das Buch mit dem Rücken nach oben auf den Bauch. Die Handlung ist recht simpel so an sich, und handelt von einem Buch, das ein junger Mann am Vorabend des zweiten Weltkriegs in Polen für seine große Liebe verfasst, bevor der Holocaust diese Welt verschlingt. Der junge Mann verliert seine Liebe, seine Heimat, sein Buch und seine Familie und wird schließlich ein alter Mann in New York. Sein Buch hat ein anderer unter seinem eigenen Namen publiziert. Entlang des anderen Strangs der Geschichte sucht ein junges Mädchen in New York, das den Namen der Romanheldin trägt, diese Frau und wickelt die Geschichte so vom hinteren Ende auf.

Krauss erzählt indes nicht linear. Die Geschichte springt von einer Ebene zur anderen, und auch wenn dies gelegentlich gut funktioniert und die einzelnen Strähnen zu einem straffen Zopf verflochten prangen, so wirken die Sprünge bisweilen doch arg artifiziell. Krauss hat Humor, das ist nett, aber manchmal versteigt das Buch sich in die Sphäre von reinem Kitsch. Gerade die Auszüge aus dem Buch, das der junge Mann für die Frau, die dann in New York einen anderen heiratet, schreibt, sind stellenweise schwer die Möwe Jonathan. Bisweilen werde ich entsetzlich müde über dem Buch und schließe die Augen.

Irgendwo in einer Ecke raschelt der Kater. Müde bin ich heute abend, müde bin ich meistens in diesen Tagen, angestrengt und ein wenig reizbar. Die Stadt strengt mich an. Die Kälte. Mein ganzer, etwas dünnflüssiger, etwas allzu vorhersehbarer Alltag langweilt mich, und selbst der Sonnenschein erscheint mir attrappenhaft und nicht ganz echt. Sieht ja nur warm aus. Ist trotzdem kalt.

Irgendwann schlage ich das Buch zu. Morgen werde ich weiterlesen, übermorgen vielleicht, aber so arg interessiert mich gerade nicht, wie es weitergeht. Ein paar der verzerrten Träume Adornos aus den bei Suhrkamp erschienen Traumprotokollen werde ich noch lesen, wie stets mit dem seltsam beklommenen Gefühl, in einen verbotenen Raum eingetreten zu sein, wie es ihn in meinem Dasein inzwischen kaum mehr gibt, in dem die Türen zugewachsen sind, die meine Welt mit den anderen Welten verbindet.

Dienstag, 1. März 2011

Journal :: 28.02.2011

Auf dem Weg vom Büro zum Italiener schaue ich in den Spiegel. Ein bißchen blass siehst du aus, tadele ich mein Spiegelbild für die vielen Stunden in geschlossenen Räumen. Du solltest mehr vor die Tür gehen, rate ich und wuschele mir ein paarmal durchs Haar. Ich habe mehrere Kilo Haar, habe ich das Gefühl, und zwei bis drei Pfund von der Fülle stehen immer in die falsche Richtung ab.

Ein bißchen sehr hochgeschlossen ist das Kleid, das ich anhabe. Selbst für einen Montagabend sehe ich ein wenig langweilig aus. Schwarz und knielang ist das Kleid, schließt ab bis zum Hals, und auch wenn ich keinen hüftlangen Cardigan trüge, sähe man schlicht nichts von mir. Dieses Kleid ist der Tschador unter den Kleidern Berlins, stelle ich fest. Ich könnte ohne mich umzuziehen an einer katholischen Mädchenschule unterrichten, mustere ich mich im Spiegel und überlege kurz, welches Fach. Deutsch vermutlich. Deutsch und Latein. Über die fusseligen Wollstrumpfhosen dagegen diskutiere ich nicht einmal mit mir selbst. Einfach zu kalt ist es für feine 20 den tights, selbst mit den schwarzen Stiefeln viel zu kalt, zumal, wenn man immer Rad fährt, weil man ja nicht Auto fahren kann und nur sehr, sehr ungern die M 4 besteigt.

Jane Russell ist tot, lese ich auf dem iPhone im Fahrstuhl nach unten und schaue mir die Bilder der Toten an. So schön werde ich nie gewesen sein, schießt es mir durch den Kopf, und ich schelte mich ein bißchen für diesen albernen Gedanken. Ich bin doch Rechtsanwältin und nicht Göttin. So begehrt werde ich nie gewesen sein, schiebt sich leise und lächerlich ein Anschlussgedanke in meinen Kopf. Egal, herrsche ich mich an und trällere ein bißchen auf dem Weg zu meinem Rad. I'm looking for trouble, summe ich und stochere mit dem Schlüssel im Schloss.

Dann fahre ich los.

Montag, 28. Februar 2011

Journal :: 27.02.2011

Lebe hoch, mein Lieber, denke ich und schaue dem J. beim Aufwachen zu. Zwei Stunden haben wir noch Zeit, dann kommen die I. und der S., die M. und der M. mit ihrer kleinen Tochter, keinen Monat alt, die I. und der R. mit ihrer zwei Tage älteren ebenso kleinen Tochter und der S. und die M., die ohne Kind kommen, weil das Kind schon so groß ist, dass es die Freunde der Eltern nicht für gottgebene Quasiverwandte hält, sondern für alt.

Lebe hoch, sage ich nun halblaut und küsse den J. auf die Nase. Herzlichen Glückwunsch. Lebe laut, flüstere ich ihm zu. Lebe glücklich auch im neuen Lebensjahr. Feiere, dass das Leben gut zu Dir war und ist. Freue Dich Deiner Freunde, streichele Deine Katzen. Sei dankbar, dass Du keine Sorgen hast und die Ärzte auch dann nichts finden, wenn Du meinst, dass da was ist. Hau auf die Pauke, wo immer Du eine findest. Geh tanzen, solange Du tanzen magst und lass es Dir schmecken.

Lebe lustig, mein Lieber, ziehe ich den J. an den Ohren, bis er die Augen öffnet, denn wir müssen noch aufräumen bis elf. Sei besungen und gefeiert, lebe fröhlich zwischen rosa Wolken aus Leichtsinn und Glück. Steige hoch, mein Lieber, mit feuerfesten Flügeln aus Teflon. Lass die Drachen leben und spann sie allesamt vor Deinen Karren. Lebe hoch, mein Lieber, ziehe ich den J. in die Dusche, denn Du hast Geburtstag, und sei gesegnet, mein Lieber, unter den Männern der Stadt.

Sonntag, 27. Februar 2011

Journal :: 26.02.2011

Am Freitag bringt man mir ein Päckchen ins Büro. Es ist an mich adressiert, das schon, allerdings enthält es kein Geschenk für mich, sondern ein Geschenk für den J. Der J. hat nämlich am 27.02. Geburtstag.

Das Geschenk ist von seinen Eltern. Seine Eltern wollen nicht, dass wir Samstag bei der Post anstehen müssen. Deswegen schicken sie Päckchen lieber ins Büro. Warum zu mir und nicht zum J. weiß allerdings der Teufel. Vielleicht haben sie Angst, er könne das Päckchen vorzeitig öffnen. Entsprechend bringt mir also eine der Damen vom Empfang das Päckchen von rund 20 x 25 x 15 cm Ausmaß in braunem Packpapier mit getipptem Adressaufkleber auf der Vorderseite in mein Büro. "Danke!", sage ich und strecke die Hand nach dem Päckchen aus. Ich halte das Geschenk hoch und schüttele es vorsichtig. Man hört rein nichts.

Am Abend bringe ich das Päckchen mit und gebe es dem J. Der J., finde ich, soll es nun selber tragen. Auch der J. hält das Päckchen ans Ohr, er wiegt es in der Hand, er dreht und wendet das Päckchen. Das Päckchen ist undurchdringlich. Das Packpapier ist sichtlich von des J. Mutter um eine Schachtel gewickelt worden und gibt keinerlei Hinweis darauf, woher das Päckchen stammt.

Am Samstag steht das Päckchen auf dem Küchenschrank. Ich wirbele durch die Küche, backe erst einen Sauerkrautkuchen und dann eine Nougat-Karamell-Buttercremetorte, brate Bouletten und bereite kalte Platten für das Frühstück vor, zu dem der J. am nächsten Morgen geladen hat. Ab und zu wandert mein Blick zum Schrank. Den Eltern des J. traue ich an sich als Geschenk lediglich Geld und Heimtextilien zu. Für Bettwäsche oder Handtücher ist das Päckchen aber viel zu klein. Zeitweise fürchte ich einen Becher aus Bürgeler Keramik. Die Mutter des J. findet die klobigen, blauen, weißgetupften Becher super und hat entsprechend zu Weihnachten einen Becher erhalten, auf dem ihr Name stand. Möglicherweise hat sie sich - zutiefst erfreut - nun revanchiert. "Dann würde Zerbrechlich auf dem Päckchen stehen.", verneint der J. diese Ansicht und schüttelt das Päckchen selbst noch ein paarmal.

Um Mitternacht gibt es Champagner. Der J. bekommt ein Geschenk von mir. Ich singe so laut und schön wie ich kann ein Geburtstagslied speziell für den J., wir stoßen an, und dann öffnet der J. das Päckchen. Es enthält keine Keramik. Es enthält keine Heimtextilien. Es enthält eine Flasche Molton Brown Duschgel, eine Parfumprobe und - oh Unfassbarkeit des menschlichen Geistes - ein kleines, grünes, steinernes Ei.

Journal :: 25.02.2011

Bis so circa 2005, bilde ich mir ein, konnte man in Berlin meistens ohne Reservierung überall hingehen. In den letzten Jahren ist das schwierig geworden, meistens reserviere ich spätestens mittags für abends, und so sind der J. und ich kein bißchen überrascht, dass es in der fleischerei ohne Reservierung keinen Tisch mehr für uns gibt.

Ins Pappa e Ciccia könnten wir gehen. Ins femmina morta, schlage ich alternativ vor, aber schnell muss es gehen, schnell, schnell, schnell, denn es ist so elend kalt heute nacht, dass ich auf keinen Fall lange zu Fuß irgendwo hin laufen will. Ich komme direkt aus dem Büro: Ich habe nicht so richtig viel an.

Am Ende ist es dann das Filetstück. Gerade in dem Moment, in dem wir fragen, wird ein Tisch frei. Wir nehmen den Wurstteller aus der Vitrine wie immer. Ich trinke Wasser, weil es gestern ein Glas Wein zu viel gewesen ist. Ich nehme das grandiose Filet von Donald Russell, medium rare, einen gemischten, letztlich unspektakulären Salat und eine Art aufgeschäumte Hollandaise, die an sich ganz gut ist, aber etwas zu butterig für das Fleisch. Ich vermisse ein bißchen das Risotto, das sie hier sonst immer hatten.

In meinem Kopf läuft der Tag immer weiter. Das Klima. Das Berlinklima. Das Weltklima. Die Klimakatastrophe. Ein Stück Klimawandel, fällt mir dazu ein, liegt vor mir halbgegessen auf dem Teller. "Kühe sind Klimakiller."; gebe ich mit einem Hauch schlechten Gewissens zu Protokoll, und der J. nickt schuldbewusst über seinem Entrecote vom pommerschen Rind. Könnte man bei der netten Kellnerin den Treibhauseffekt der verzehrten Kuh kompensieren, mit Freuden bestellte ich statt eines Kaffees einen Ablass, aber so laufe ich nicht allzu spät mit dem J. die Danziger heim, zufrieden mit mir, mit der Kuh, und nur das Weltklima ist so ein Punkt, den ich heute nacht nur ungern bedenke.

(In der fleischerei wäre das aber auch nicht anders gewesen.)

Samstag, 26. Februar 2011

Journal :: 24.02.2011

Die ganze Welt spricht über nichts anderes als das erschlichene Doktorat des Verteidigungsministers, und von den Ministerialbeamten beim Mittagessen in Mitte über die beiden Ingenieure nachmittags bei einem beruflichen Termin bis hin zu den anderen Anwälten im Büro und dem ehemaligen Kollegen abends im Dave Lambardo am Zionskirchplatz ist man sich komplett einig: Das ist das unrelativiert Letzte auf Erden. Welche angeblich unterstützenden 87% der Bevölkerung die Bildzeitung gefragt haben will - wir waren nicht dabei. Diese 87% - so ist man sich einig - hat die Bild vermutlich erfunden.

Am meisten enttäuscht sind alle über Merkel. Wie man denn könne. Was denn das soll. Wenn man sich irgendwann fragen wird, wie die CDU aufgehört haben wird, eine bürgerliche Partei zu sein, dann wird man wohl bei ihrem Statement landen, sie habe keinen wissenschaftlichen Assistenten berufen, und auch wenn niemand von uns die SPD wählen wird, die Leute wie uns als Latte Macchiato-Trinker verleumdet, als sei das irgendwie ehrenrührig, verliert die CDU in diesen Tagen nach und nach an Rückhalt bei Leuten, die sich immer für bürgerlich-konservative Wähler gehalten haben. Man legt, das hätte man nicht deutlicher sagen können, keinen Wert auf Leute wie uns mit unseren Vorstellungen davon, was richtig ist und was falsch.



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