Sonntag, 19. Juni 2011

Dr. Google und mein Knie

Wer im Internet Aufklärung über gesundheitliche Wehwehchen sucht, hat es nicht besser verdient. Auf der anderen Seite: Ich warte sehr, sehr ungern irgendwo, am wenigsten gern warte ich im Wartezimmer von Ärzten darauf, endlich dranzukommen, dabei bin ich sogar privat versichert, aber warte trotzdem immerhin so lange, dass es mich abschreckt, einen Arzt aufzusuchen, solange es irgendwie geht.

Langsam allerdings habe ich daran so meine Zweifel. Letzte Woche war schon doof. Ich war müde, ich war irgendwie so ein bißchen Hackfleisch, ein wenig benommen, halt so, und dann wache ich auf und mein rechtes Knie schmerzt. Schmerzt richtig. Schmerzt so, dass Fahrradfahren weh tut, aber immerhin besser ist als Herumlaufen, denn das tut richtig weh. Also so richtig.

Abends bin ich ziemlich durch. Am nächsten Morgen geht es, abends ist es dann wieder irgendwie blöd, und dann kommt das Wochenende. Hochlegen, denke ich. Schonen. Aber dann stehe ich doch einen Abend lang auf einer Gartenparty herum, mein Knie prickelt inzwischen, und irgendwie schmerzen nun auch meine Leiste und mein Knöchel. Zu Hause klappe ich den Rechner auf und gebe alle Symptome bei Google ein. Die Antwort ist so nicht brauchbar und ganz schön diffus.

Sonntag geht es dann so halbwegs. Morgen ist nun Montag, Ärzte öffnen, ich könnte in der Mittagspause einen Orthopäden aufsuchen, aber dann gibt es nichts zu essen, ich gehe doch so ungern zum Arzt, und so sitze ich hier nun, gebe alle Symptome bei Google ein und frage das Netz: Geht das nicht von allein auch wieder weg?

Die Antworten sind allerdings nicht sehr ermutigend und nicht einmal sehr klar.

Montag, 13. Juni 2011

berlin.amour

Ach, Berlin, denke ich. Du großartige Schlampe. Du fettes Weib mit den verwischten Tatoos und den Krampfadern am Hintern. Dir zuzuhören, wenn du in der U-Bahn deine Feinde beschimpfst, wenn du nachts einmal quer von den Klos bis zur Theke das nächste Bier für dich und deinen Süßen bestellst, und wenn du - elfenhaft und verjüngt und verschönt - morgens um vier an der Oberbaumbrücke der Sonne beim Aufstehen zuschaust und seufzt.

Aber seien wir ehrlich: Im Winter hassen dich irgendwann selbst deine Freunde. Deine Unfähigkeit, einmal nur den Winterdienst zu wuppen wie eine ganz normale Stadt. Der Dreck und die Dunkelheit. Die Distanzen, die auf einmal unüberwindlich werden, weil für ein Auto kein Platz ist in deinen Straßen, die Radwege buckelig vereist sind und die BVG voller Wahnsinniger, die schlecht riechen und mit sich selbst und anderen bedrohlich klingende Gespräche führen.

Sowas wie Frühling und Herbst gibt es bei dir nicht. Du bist ja nicht so für Schnickschnack, und Zwischentöne findest du doof. Überhaupt bist du immer ganz für oder gegen irgendwas und überlegst es dir immer so schnell anders, dass man keine Gelegenheit hat, sich auch nur eine Minute zu langweilen. Du bist brutal und cool und manche haben Angst vor dir, weil man nie weiß, was du in drei Monaten sagst oder tust.

Ganz du selbst bist im Sommer. Im Sommer riechst du nach Hundedreck und klebrigem Asphalt und bist trotzdem unwiderstehlich. Ich liebe es, wenn du in Mitte auf dem Kantstein sitzt, die Füße auf der Torstraße, und es ist morgens um halb vier und du trinkst Wodka und kannst kaum mehr sprechen und lallst mir etwas vor über das absolute Kunstwerk, das so perfekt ist, dass man es nicht sehen kann, denn sonst würde man blind. Du bist abstoßend und größenwahnsinnig und siehst fabelhaft dabei aus.

In deinen Parks gibt es schon im Juli mehr gelbes Unkraut als Rasen, aber du hast Spaß mit einem Federballspiel vom Flohmarkt und grillst mit allen deinen Freunden so lange Würste und Lämmer schwarz, dass ihr alle noch bis zum Herbst an Krebs sterben würdet, wenn die Leute recht hätten, die predigen, dass alles schlecht ist, was Spaß macht. Diese Leute haben es ohnehin nicht leicht mit dir: Du rauchst immer noch, weil du findest, dass das gut aussieht, du isst den größten Dreck und trinkst aus Prinzip. Überall in Deutschland ist Rauchen heute ziemlich verboten. Nur bei dir gilt das Rauchverbot ausschließlich in öffentlichen Gebäuden und Mutter-und-Kind-Cafés.

Überhaupt: Deine Kinder. In den Innenstadtbezirken hast du mindestens eins und nimmst es überallhin mit. Ich habe gelesen, du hättest gar nicht mehr Nachwuchs als woanders, aber du versteckst dich nicht in Vororten, sondern setzt dich mitten in die Stadt. Da sitzt du dann, trinkst Rhabarberschorle, isst eine Waffel und plauderst mit einer Freundin. Man sagt dir nach, du seist schrecklich anstrengend in deiner Rolle als Übermutter, aber ich weiß: Gegenüber den Vorortmamas mit dem Van bist du die lockerste Frau der Welt und deine Männer sind auch mit 40 noch ziemlich lustig.

Wenn du alt bist, wohnst du irgendwo im Westen. Ich kenne dich nicht, aber ich sehe dich manchmal, wenn ich in Charlottenburg bin. Im KaDeWe trinkst du Champagner mit deinen steinalten Freundinnen. Manchmal höre ich euer schrilles Lachen und hoffe, dass ich auch noch was zu lachen habe, wenn ich achtzig bin. Abends sieht man dich manchmal in der Deutschen Oper, dann führst du deinen Pelz und deinen Schmuck aus aus der Zeit, als du noch Frontstadt des Westens warst und für die Freiheit in Dahlem Sahnetorte essen musstest.

Tot aber, meine Liebe: Tot bist du nie. Du stehst erst mittags auf, wenn das geht, aber liegen bleiben wirst du nicht. Du hast dich immer aufgerappelt. Du bist nicht sentimental und hältst ganz gut was aus, wenn du musst. Wenn nicht, haust du schrecklich gern auf die Pauke. Du bist keine Dame, Berlin, aber du machst was her.

Soviel Spaß hatten wir zwei die letzten zehn Jahre. Cheers, Berlin. Auf all die Jahre, die noch kommen.

Montag, 6. Juni 2011

Schönen Tag

"Oha.", sage ich und schüttele den Kopf. Die ausgestreckte Hand mit dem Zettel bleibt in der Luft stehen. "Vermieterterror stoppen! Wir bleiben alle!", steht auf dem Flugblatt, das offenbar die Thesen von Menschen verbreitet, die etwas gegen die marktwirtschaftlichen Gesetze der Preisbildung bei Wohnungen haben.

Den Jungen mit den Flugblättern schaue ich flüchtig an. 19 oder 20 wird er sein, vermutlich Student, schwarzgefärbte Haare und schlechte Haut, schöne Augen, aber die Hände könnten gepflegter sein und das T-Shirt nicht ganz so verwaschen.

Schnell gehe ich weiter. Ich missbillige solche Bestrebungen, wie sie der Junge vertritt. Ich habe mich sehr wenig mit diesen Dingen beschäftigt, weil ich mich für Politik nur eingeschränkt interessiere, aber ich argwöhne, dass sich der Missmut solcher Leute irgendwie auch gegen mich richtet, denn wenn man möchte, dass keine Alteingesessenen durch Zugezogene verdrängt werden, dann meint man vermutlich, dass in meiner Altbauwohnung im Bötzowkiez nicht der J. und ich wohnen sollen, sondern die Ostberliner, die hier früher irgendwann mal gewohnt haben, und die ich gar nicht kenne. Das wiederum würde bedeuten, dass ich ja irgendwo anders wohnen müsste, dabei gefällt es mir da, wo ich bin, extrem gut. Auch abseits meiner persönlichen Abneigung, den Prenzlauer Berg wieder zu verlassen, ist mir ziemlich schleierhaft, wieso es ein Recht auf Fortsetzung von Mietverträgen zu trotz Sanierung unveränderten Konditionen geben soll, nur weil jemand immer schon da war. Dass etwas schon immer so war, ist kein überzeugendes Argument dafür, dass es sich auch künftig nicht ändern solle.

Mit den Tiraden von Leuten, die aus kulturellen Differenzen moralische Überlegenheiten ableiten, beschäftige ich mich schon aus Prinzip nicht. Das ist mir zu gehässig. Ich habe registriert, dass die Gehässigkeit eher auf Seiten der sogenannten Gentrifzierungsgegner zu liegen scheint, jedenfalls habe ich umgekehrt noch keinen Schwaben anti-ostdeutsche Parolen dreschen hören, aber ansonsten finden diese Debatten weit weg von mir statt, die ich im Übrigen auch überhaupt keine Leute kenne, die so aufgeregt-unschöne Worte wie "Vermieterterror" benutzen.

"Schade. Schönen Tag noch!", grüßt der Junge mich auch ohne Flugblatt freundlich und wartet auf den nächsten Passanten. "Man kann doch nicht mit 20 schon dafür sein, dass sich nie etwas ändert.", liegt es mir auf der Zunge, aber dann sage ich nichts. "Viel Spaß und viel Veränderung.", würde ich ihm fürs Leben wünschen, aber das würde er nicht verstehen. So sage ich gar nichts. Außer: "Schönen Tag."

Mittwoch, 1. Juni 2011

Der Keller der toten Tante

"Ja, hi!", beende ich das Telephonklingeln und winke durch die Glastür meines Büros den Kollegen zu, die nach Hause gehen. Mit der linken Hand fahre auch ich den Rechner herunter. Morgen ist Feiertag. Erst Freitag muss ich wieder ins Büro.

Mein Telefonat rauscht und knackt entsetzlich. Am anderen Ende der Verbindung spricht der T., er ist irgendwo in Kärnten und sitzt, wie er sagt, auf der Schaukel im Garten seiner Tante M., die diese ihm circa 1976 an einen Baum gehängt und dann einfach nie mehr entfernt hatte. Ein wenig zugewuchert sei der Garten, erfahre ich, denn während der Krankheit der Tante M. habe den Garten niemand mehr gepflegt. Die Vegetation sei fast ein bißchen erschreckend.

"Was machst du da?", frage ich nach und bücke mich halb unter den Tisch, um den Rechner auszuschalten. Es geht um eine Haushaltsauflösung, wie ich höre, denn die Tante M. sei kürzlich gestorben, und nun sollen der T. und seine beiden Vettern aus dem Haus mitnehmen, was ihnen gefällt. Den Rest hole dann einer ab.

"Und?", frage ich und versuche, mit dem Telephon am Ohr meine Tasche wieder einzupacken, aus der ich im Laufe eines Tages alles herausreiße, was ich gerade brauche. Mein Schlüssel liegt unter einem Stapel Aufsätze. Mein Portemonnaie auf dem ersten Band des Landmann/Rohmer, und mein Handy suche ich ein bißchen, bis mir einfällt, dass ich gerade telephoniere.

"Starkes Stück ...", meint der T. und verstummt kurz ob des dramatischen Effekts. Das übliche Einerlei von Porzellan und Leinen gebe es halt, sagt er abschätzig und fragt, ob ich noch etwas brauche. Wir brauchen aber alle nichts, das weiß der T. genau, weil jeder mitteleuropäische Mensch unter 40 vier bis fünf Erbschaften macht, bei denen er genug Leinen erbt, um sein Haus damit zu verhüllen, und ausreichend Porzellan, um mehr Gäste zu bewirten als er Leute kennt. Ein paar Bilder habe es auch noch gehabt, das übliche an Seestücken, Jagdszenen und ein paar hässliche Figurinen. Was aber die Erbschaft der Tante M. zu etwas ganz Besonderem mache, sei ihr Keller.

"Habt's ihr ein Verließ mit wem drin gefunden?", frage ich nach, denn wie die Welt weiß, pflegt man in der österreichischen Provinz derweilen ab und zu zu tun. Zwar hat man bisher noch nichts von weiblichen Tätern gehört, aber Frauen schließen schließlich in allen Lebensbereichen auf und sperren bestimmt schon ganz bald kleine Buben in ihre Keller.

"Naaa.", verneint der T. abfällig. Mit Schränken voll gewesen sei der Keller der Tante M. Nicht mit Gefangenen. Mehr als zehn Schränke hätte sie gehabt, alle randvoll mit Kleidung, aber nicht mit normaler Kleidung, sondern

(kurz denke ich an schwarze Latexanzüge)

mit Uniformen drin, mit nichts als Uniformen, Husaren und Matrosen, einfache Infanterie und knallbunte Kavallerie, Deutsche und Österreicher und Russen sogar, Gardeuniformen und Bundeswehruniformen, sogar ein Feuerwehrmann sei dabei gewesen, zwei Pickelhauben, ein Polizist ebenfalls, und sorgfältig verpackt in ganz vielen Kartons Polaroids der Tante, die die Uniformen trägt, erst jünger, dann älter, und am Ende schon recht traurig und gebeugt.

"Oha!", sage ich, "Ein bißchen ungewönlich, die alte Dame.", und laufe mit dem Telephon am Ohr zu den Fahrstühlen. "Und was machst du jetzt mit den Uniformen?", frage ich auf dem Weg zum Fahrradständer und grabe nach meinem Schlüssel.

"Na, mir passen sie ja eh nicht.", höre ich noch, und dann ist die Verbindung endgültig weg.

Montag, 30. Mai 2011

Ob da nichts fehlt

Ach, denke ich auf dem Rad zurück ins Büro. Ist denn niemand mehr verliebt? Leben fast alle Menschen, die ich kenne, längst zu zweit in ihren Wohnungen, sitzen abends mit einem Glas Wein auf dem Sofa und betrachten ihren langjährigen Partner wohlgefällig als eine hochgeschätzte Selbstverständlichkeit, die man ungefähr so gut kennt wie seinen Unterarm? Ist das aufregendste Ereignis im Leben aller meiner Freunde das Warten auf eine Schwangerschaft, auf den Tag, an dem das Kind sitzt, spricht oder sich aufrichtet oder die Suche nach dem absoluten Haus?

Haben denn Kinder und Häuser den Nerv komplett ausgebrannt, der früher anfing zu zucken, wenn man einen Abend mit jemand ausgegangen ist, der einem schön und spannend und wild und klug erschien? Denkt eigentlich niemand mehr außer mir, wenn er tolle Leute trifft, ob er die auch hätte haben können und wie die wohl so ohne alles aussehen und ob es schön wäre, mit denen, oder irgendwie anders als das, was man hat.

Ob den anderen denn nichts fehlt, überlege ich mir und trete in die Pedale. Heiß ist es heute, so heiß wie früher, als der Sommer noch nach Abenteuern roch, nach Asphalt und blühenden Bäumen und Hundehaufen und Bier und Parfum. Heute abend aber wird in meiner Welt trotz Sommer nichts mehr passieren, denn die Sommer für mich, so scheint's, sind vorbei, und was mir bleibt, ist vielleicht nur ein kühler Herbst mit fallendem Laub und ruhigen, klugen, abgeklärten Gesprächen weit abseits von Lachen, von Flieder, von Sommernächten und Rauch.



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