Sonntag, 7. Februar 2010

Samstag, 06.02.2010

Prag ist fast leer. Oder besser: Prag ist ganz normal voll, wie eine hübsche, aber an sich unaufgeregte Stadt eben belebt ist an einem ganz normalen Samstag im Februar, und in den ungezählten Geschäften mit Souvenirs und böhmischem Glas stehen die Verkäuferinnen einsam und schauen an bunten, riesigen Vasen vorbei mit hängenden Armen ins Freie. Langsam wandern die J. und ich die Straßen entlang, vorbei an der Insel Kampa, durch ein paar Gässchen bis zu Národni třida, und dann sitzen wir im Café Louvre und essen Quiche und Salat.

Weil wir viel zu früh aufgestanden sind, alle beide, gähnen wir ab und zu ein bißchen und unterhalten uns mit den langen Pausen, die typisch sind für Leute, die sich schon lange, lange und gut kennen und nicht die ganze Zeit sprechen müssen, um zu demonstrieren, wie gut sie sich doch verstehen. Die J. hat Zahnschmerzen und nimmt ab und zu eine Tablette.

An den Straßen liegt zu Haufen zusammengekehrt alter, schwärzlicher Schnee. Wir zeigen uns gegenseitig besonders absonderliche Gegenstände in Schaufenstern, lachen und schauen uns um. Prag schwingt beidseitig der Moldau ruhig der Dämmerung entgegen, wir nehmen irgendwo auf der Kleinseite einen Aperitif und schauen über die Dächer der Stadt auf den Fluss herab, der Eisschollen führt und das stumpfe Schwarz des alternden Winters.

Im Restaurant Olympia essen wir Suppe und Braten, Rindfleisch in dichten, cremigen Saucen, Knödel und trinken einen weichen, roten, mährischen Wein. Das Essen ist solide, duftend und schwer, und besser als in vielen anderen Lokalen. Satt, sehr, sehr satt, laufen wir die Straßen herab Richtung Smichov.

Ich schlafe sofort. Kein Golem stört meine Träume.

Samstag, 6. Februar 2010

Freitag, 05.02.2010

Ich, meine Damen und Herren, erlebe annähernd nichts, und wenn jemals einer daherkommt, um mein Leben für das Vorabendprogramm zu verfilmen, wird das Ganze garantiert nach drei Wochen abgesetzt. Heute etwa war ich mit dem J. im Filetstück, und es war schon super da, der gemischte Vorspeisenteller mit einer göttlichen Leberwurst (ja, Leberwurst!), und danach 150 gr. Filet vom Freesisch Rind und Spitzmorchelrisotto dazu. Eine Flasche Duoro Tinto mit dem J. Objektiv und für den unvoreingenommenen Beobachter war der Abend aber vermutlich so amüsant wie drei Stunden vor einem Aquarium ohne Fische.

Weil wir nicht reserviert hatten, saßen wir am Fenster und sahen auf die Schönhauser Allee. Hastig und geduckt liefen Passanten unter den Schienen der Bahn hin und her. Die ganze Stadt ist überzogen mit einer buckeligen Eisschicht, und die Konzentration, die die nahezu unbegehbare Stadt erfordert, will man doch mal vor die Tür, macht die Berliner noch mürrischer als ohnehin. In den meisten Vororten ist zudem fast jeder hässlich.

In der Scheibe spiegelte sich der riesige Korbleuchter inmitten des Raums, und der J. kaute sein Entrecôte vom American Beef. Die anderen Leute im Lokal waren weder spektakulär schön noch außerordentlich extravagant, und sie haben auch nichts besonderes getan. Der J. schilderte den Diebstahl seines Kofferbandes mit der Aufschrift "59. Berlinale" durch ein paar unverfrorene Arbeiter am Band, die - beobachtet vom J. - das Band vom Koffer entfernt und sodann irgendwelchen Schabernack damit getrieben haben, und ich sah den Passanten hinterher und dachte darüber nach, ob denen in ihrem Leben eigentlich auch so langweilig ist wie mir.

Weil ich morgen früh mit der J. nach Prag fahre, sind wir nach dem Essen dann gleich nach Hause gegangen. Ich habe dem J. vom Chén Chè erzählt, wo ich Mittwoch abend war, und es war wirklich, wirklich nett und hübsch und sogar ganz lecker. Der J. und ich sind auf dem Heimweg mehrfach fast ausgerutscht, weil es überall so glatt ist, wie es eben wird, wenn Schnee zusammengetreten wird und mehrfach antaut und überfriert. Ich habe gegähnt und gepackt, weil ich morgen früh so lange wie möglich schlafen will, und dann stand ich im Bad, sah in den Spiegel, öffnete den Mund und zog ein paar Grimassen, damit es zumindest irgendetwas zu lachen gibt inmitten der Ödnis, die einem bleibt, wenn man so wenig mit sich azufangen weiß wie ich

Donnerstag, 4. Februar 2010

Mittwoch, 03.02.2010

Gegen zehn nach neun treffe ich den R. vor dem Fahrkartenautomat in der U-Bahn. Den R. - obschon an sich gut befreundet - habe ich tagelang nicht gesehen, auch gestern abend war er nicht da, und so stürze ich auf den R. zu, erzähle dies und das und noch ein bißchen mehr, und dann frage ich ihn nach seinen Eltern. Seine Eltern waren zu Besuch, das hatte er uns erzählt letzte Woche, und wie immer winkt der R. ab. Anstrengend sei es gewesen.

Dann steigen wir in die Bahn.

Morgens ist die Bahn voller Leute, die zur Arbeit fahren. Ganz früh kommen die Männer in den Arbeitsjacken und die Frauen in ihren billigen Steppjacken über den Chenillepullovern. Dann tauchen Anzüge auf, die Anzüge werden besser, und dann, ab halb zehn ungefähr, wird es einerseits studentisch und andererseits alt.

Weil es noch nicht halb zehn ist, stehen um uns herum nun auch Leute, die ungefähr so aussehen wie wir. Jüngere Anzugträger, Leute mit Bürojobs, die Wert darauf legen, nicht dasselbe anzuhaben wie die Leute im Büro nebenan. Alles schaut stumpf gegen die schwarzen Fenster.

"Magst du dich setzen?", fragt der R., und dann sitzen wir beide. "Weißt du eigentlich, wieso meine Eltern da waren?", fragt der R. auf einmal, und ich schüttele den Kopf. Seine Eltern kommen doch öfter, überlege ich und schaue ihn an. - Er habe geheiratet, sagt der R. dann einfach so, und ich schaue ein wenig entgeistert. Nicht, dass mich so an und für sich wundert, dass der R. und die I. nun doch noch geheiratet haben. Gott, denke ich. Andere Leute heiraten auch. Aber so ganz ohne alles, so ganz ohne Freunde, ohne Feier, ohne Kleid, und nicht einmal mit beiden Eltern? Und wieso eigentlich heiraten, wenn es auch ohne Heiraten sichtlich gut ging die letzten zwanzig Jahre? Warum auch lichtet sich der Kreis der Unverheirateten mehr und mehr, und wie reagiert man eigentlich, wenn man ein klein wenig beleidigt ist, so einerseits, weil einem keiner vorher was sagt, und man andererseits sehr herzlich gratulieren will, weil die Ehe ja generell als erstrebenswert gilt.

"Herzlichen Glückwunsch! Das ist ja toll.", trompete ich also und freue mich auf die verdutzte Miene des J.

Mittwoch, 3. Februar 2010

Dienstag, 02.02.2010

Mittags beim Lieblingschinesen an der Jannowitzbrücke: Wasserspinat, Rindfleisch nach Bauern Art (also serviert in einer Schüssel mit heißem, scharf gewürztem Öl) und derjenigen Peking Suppe, die man bekommt, wenn man sie ausdrücklich verlangt. Nach dem Essen auf angenehme Weise schwer wie ein rundlicher, strahlender chinesischer Buddha. Mir selbst Blumen gekauft, weil es sonst keiner tut.

Abends durch die nass-kalte Straßen der Stadt. Gelacht. Auf dem Rückweg zwanzig, dreißig Minuten auf die M 1 gewartet, schließlich mit fast schon nassen Füßen in der Bahn einem Jungen gegenüber gesessen, der hohnvoll, fast verächtlich auf meine schmalen, schwarzen Stiefel aus feinem Leder sieht, auf meine Strumpfhosen und meinen Rock. Am Ende starrt er mir einen Moment ins Gesicht, feindlich fast, sehr von oben herab, und ich frage mich, was er in mir sieht, als ich nach Hause laufe von der Haltestelle um die Ecke durch die Dunkelheit, die Nässe und die fallende Nacht.

Montag, 01.02.2010

Um sieben stehe ich auf, um acht verpacke ich mit dem J. beide Katzen und schleppe die guten Tiere zum Arzt. Den ganzen Tag bin ich müde. So gut wie nie stehe ich vor 8.30 (auch gern einmal später) auf, und so fallen mir schon gegen zehn fast die Augen zu. Gegen eins wache ich kurz auf, um etwas zu essen, und halte mich dann bis gegen neun Uhr abends mühsam wach. Dann gehe ich nach Hause.

Zu Hause sitze ich wie ein Sandsack vor dem Rechner und blinzele den Monitor an. War schon alles einmal besser, werfe ich den Katzen vorwurfsvolle Blicke zu, weil sie schuld sind an dem unnatürlich frühen Tagesbeginn.

"Wir hätten uns das auch sparen können.", maunzt Tilly zurück. Der J. ist unzufrieden, weil in den Bratnudeln mit Broccoli und Zwiebeln mit Ei kein Fetzen Fleisch und noch nicht einmal Tofu zu finden war, und ich liege dann doch erst nach zwölf im Bett und denke darüber nach, ob es mir so gefällt, das alles, und was wäre, wenn nicht.

Dienstag, 2. Februar 2010

Sonntag, 31.01.2010

Morgens scheint die Sonne. Der Prenzlberg ist sonnig und hell, und mit der neuen, silberglänzenden Tasche in der Hand spaziere ich ganz, ganz vorsichtig über den Kollwitzplatz. Der Schnee von Wochen hat sich festgetreten zu einer ungleichmäßigen, gesplitterten, buckeligen Eisschicht. Ab und zu gleite ich ein Stück zur Seite, und dann bekomme ich einen Schreck. Gleich, gleich werde ich fallen. Dann falle ich doch nicht.

Weil Berlin im Winter noch etwas unwirtlicher ist als alle anderen Städte schauen die Berliner im Winter alle ziemlich verdrossen in die Gegend, als habe die ganze Stadt ein halbes Jahr schlechte Laune. Würde man einen Passanten nach der Uhrzeit fragen, würde man wohl angebellt, seh' ich aus wie die Zeitansage?, und würde man anlasslos fremde Leute anlächeln, sperrten die Berliner einen wohl ein. Sogar an einem hellen Wintertag wie diesem scheinen die Leute auf der Straße die Zähne zu fletschen und nach ihren Kindern zu rufen, als sei Friedrich oder Marie ein tiefschwarzes, böses und höllisches Schimpfwort.

***

Angekommen wird alles wieder gut. Es gibt Kaffee und Semmeln, Käse, Obst und Quiche Lorraine, es gibt Gelächter und Freunde, und ich sitze vier Stunden lang oder so auf dem Sofa und lasse mir etwas erzählen, lache, erzähle selbst, vergesse das Erzählte auf der Stelle und esse zwischendurch ein Stück Ananas, ein wenig Käse, eine schmale Scheibe Zwiebelkuchen, Schokoküsse und noch viel mehr und fühle mich wohl.

***

Gegen fünf dann fange ich an zu kochen. Ich habe Gemüse abonniert, das kommt in einer grünen Kiste freitags zu mir, und wenn es da ist, dann muss ich es essen. Das meiste Gemüse ist wohlbekannt und mir durchaus geläufig. Niemals aber kaufte ich in einem ganz gewöhnlichen Geschäft etwa eine derbe, violett schimmernde Steckrübe, noch nie habe ich Pastinaken erworben, und wie es scheint, war letztgenannte Abstinenz auch genau richtig. Die Steckrübe zwar war einwandfrei und wohlschmeckend, zunächst in Honig und Butter karamellisiert und dann in Orangensaft geschmort mit Ingwer und Rosmarinnadeln. Die Pastinaken aber, ein weißes, leicht verkrümmtes Wurzelgemüse, hätten mich um ein Haar umgebracht: Ich rühre also in den grob geraspelten Pastinaken herum, gieße eine Vinaigrette mit viel Honig und Apfelessig über den Salat, und dann schmecke ich ab. Es schmeckt gut.

Im selben Moment schlägt die Pastinake mir mit der geballten Faust zwischen die Augen. Die Welt wird etwas glasig, leicht verzerrt, mein Mund beginnt zu prickeln, meine Unterlippe wird dick, und die Schleimhäute fangen an, trocken und zum Zerreißen gespannt zu vibrieren. Der J. soll sich um die Katzen kümmern und bekommt meine Bücher, schießt es mir durch den Kopf. Auf jeden Fall Feuerbestattung. Ich schwanke also durch die Küche, setze mich auf einen Stuhl, und dann stehe ich wieder auf und torkele ins Bad. Ich habe immer Cetirizin, denn ich bin nicht lebensfähig ohne diese Substanz. Zwanzig Minuten später ist dann auch alles wieder gut.

Am Ende essen alle die Pastinaken außer mir. Zur Steckrübe gibt es nach Foie Gras auf Blattsalaten Rosmarinkartoffeln und Kalb und einen leichten, sehr kühlen, fast sommerlichen Riesling. Ich habe Törtchen gekauft in der fabelhaften Werkstatt der Süße, die C. erzählt von ihrem neuen Job und der neuen Wohnung, und ich taste mit der Zunge die nun wieder abgeschwollene Stelle am Gaumen ab, die eine Nuance empfindlicher bleibt als an allen anderen Tagen.

***

Sonderbare, schwer bestimmbare Träume von Rolltreppen und großen, schweißnass schlafenden Tieren.



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