Montag, 22. Februar 2010

Letzte Runde

Dass es nicht ging, höre ich und nicke und suche vergeblich nach Worten. Dass es sich falsch angefühlt hat, obwohl der Mann wohl das letzte Aufgebot des Lebens war, das sie eigentlich führen wollte: Zwei Kinder, ein Haus in Zehlendorf, ein Hund, ein Sandkasten im Garten und ein Halbtagsjob. Er sei genau gewesen, wonach sie gesucht habe, aber gegangen sei es nicht, und nun sei es vorbei.

Ich löffele meine Suppe mit schlechtem Gewissen. Ich habe vor zwei Jahren wie alle anderen zu dem Kompromiss geraten, der sich nun als untragbar erwiesen hat. Es kam mir vernünftig vor, damals, dass man dann, wenn man bis zu einem bestimmten Alter ein bestimmtes Leben führen möchte, ein paar Kompromisse schließen muss. Dass man dann, wenn nur ein einziger Mann dieses Leben teilen mag, keine großen Ansprüche stellen kann was Verliebtheit angeht, Magnetismus meinethalben, dieses unerklärliche, nicht mit gutem Willen herbeizufälschende Interesse an jeder Faser, jeder Regung, an allem, was den anderen ausmacht.

Dass früher und in anderen Kulturen, irgendwo sonst auf der Welt, Vernunftehen auch nicht schlecht funktionieren, hat so gut wie jeder behauptet. Dass die Verliebtheit sowieso drei, vier Jahre dauert und es dann egal sein wird, ob man sich mal toll fand, glaube ich meistens auch. Dass das Konzept der Liebesehe nicht älter ist als so circa 200 Jahre, und dass die Menschheit ja nicht ausgestorben ist, davor, und vermutlich nicht durchweg unglücklich war in all den früheren Jahren, wird auch sie sich oft genug gesagt haben, aber dann war das Glück doch zu klein und zu grau und zu sehr zum Heulen.

Das werde schon wieder, behaupte ich, um etwas Nettes zu sgen, und tunke ein Nigiri mit Lachs in die Sauce. Die Stadt sei voller Männer, die heiraten wollen, zwei Kinder, ein Haus in Zehlendorf und so, und dass sie beim nächsten Mal vielleicht alles auf einmal haben werde, und auf nichts Elementares verzichten müsse, aber sie schüttelt den Kopf, denn das Glück sei für einige da und für andere nicht, und daran zu rütteln sei müßig.

Mittwoch, 17. Februar 2010

Ohrmilben, Paradontose

"Okay", sagt der Tierarzt vor fast vier Wochen. Beide Katzen haben Milben in den Ohren. Die Katze habe deswegen eine Ohrenentzündung und brauche Antibiotika. Der Kater dagegen müsse nur Salbe in die Ohren und dann eine Ohrspülung bekommen, am nächsten Samstag nämlich, dann gehe das sich alles schon wieder aus, und Ohrentropfen müsse ich reichen, gut angewärmt morgens und abends.

In den dem Tierarztbesuch nachfolgenden Tage werde ich von den eigenen Katzen verachtet. Bis Mittwoch spricht man in Katzenkreisen eigentlich gar nicht mit mir, und dann ist man immer noch sehr kurz angebunden und äußerst unwirsch. Ich fühle mich wie ein Hausmädchen, das einer Meißner Tänzerin ein Bein abgebrochen hat, und komme mir schrecklich ungerecht behandelt vor. Tu quoque, felis, schaue ich dem Kater nach und frage mich, wer überhaupt eigentlich nett zu mir ist dieser Tage. Überdies nimmt man mir übel, dass die Futterrationen abgenommen haben, obwohl auch an diesem Umstand nicht ich schuld bin, sondern ganz allein der Tierarzt, der die 7,4 kg pro Katze als eindeutig zuviel gebrandmarkt hat. Demnächst würde ich ernährungsberaten, wird mir angekündigt.

Am nächsten Samstag bin ich nicht da, sondern laufe durch Prag. Der J. stopft an meiner statt die Katzen in eine Box, schleppt die erbärmlich maunzenden Tiere durch den Prenzlauer Berg über die spiegelglatten, buckeligen Wege bis zum Tierarzt, und dann wartet er ab. Die Katzen werden narkotisiert, die Ohren gespült, die toten Milben entfernt, und dann nimmt der J. die Katzen irgendwann wieder mit. Medikamente sollen sie nehmen, alle beide. € 420,-- kostet die Ohrenspülung samt Narkose. Weil die Katzen aber nun schon narkotisiert waren, hat der Tierarzt als eine Art Draufgabe beiden Katzen zusätzlich die Zähne gereinigt. Der Kater, so wird der J. informiert, habe zu alledem auch noch Paradontose.

"Alle Tiere stinken aus dem Mund.", sage ich, als der J. mich über den Zahnschaden informiert und weise Zahnpflegemaßnahmen von mir. So weit kommt es noch, sage ich, dass ich meinen Katzen die Zähne putze. Der J. aber zeigt sich störrisch. Man müsse etwas unternehmen, wird mir beschieden, und am nächsten Samstag kauft der J. eine grüne Flasche VET Aquadent.

Zu Hause schaue ich mir die Flasche an. Sie ist deutlich kleiner als eine Flasche Mundwasser für Menschen, kostet gleichzeitig erheblich mehr (aber darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an), und hinten ist sie beschriftet.

"VET AQUADENT ist eine erfrischende und schmackhafte Lösung mit Chlorhexidin und Xylitol, die von Tierärzten zur Bekämpfung von Mundgeruch beim Tier entwickelt wurde.", lese ich. "Die beste Wirkung wird erzielt, wenn VET AQUADENT als Teil eines umfassenden Mundhygiene-Programms angewendet wird. Fragen Sie Ihren Tierarzt.", heißt es weiter, und dass man das Zeug in das Wasser gießen soll, das die Katzen trinken.

Nun ist das Zeug schon einmal da und steht in der Küche. Der J. weilt in Essen. Ich allein hege und pflege die Katzen, spritze Ohrentropfen in die Katerohren, versage, unbeliebter von Tag zu Tag, den Katzen die gewohnt üppigen Portionen, und abends, ja abends, gieße ich ein wenig vom VET AQUADENT in das Katzenwasser und komme mir ein wenig dämlich vor, nicht gerade spätrömisch dekadent, das nun auch nicht, zumal jedermann weiß, dass Dekadenz nur in den Kreisen der Erwerbslosen ein ernsthaftes Problem darstellt, aber irgendwie, nun, Sie wissen schon, ein wenig lächerlich halt, und bisweilen kommt mir es vor, als lachten die Katzen mich von der Fensterbank herab hämisch aus.

Dienstag, 16. Februar 2010

Von der Taubheit

Ein bißchen müde, sage ich, aber das ist es nicht allein. Ein wenig betäubt, nicht sehr, nur, als seien die Füße eingeschlafen und lägen nun schwer und formlos unter dem Tisch.

Vielleicht ist es der Winter. Vielleicht ist es die Dunkelheit, vielleicht die Kälte, vielleicht die Ereignislosigkeit, aber vielleicht sterbe ich auch nur ab, vielleicht höre ich gerade auf mit So-Sein und werde anders, und dann wird es besser, schmerzloser, lichter vielleicht an einem anderen Ort unter Schatten.

Sonntag, 14. Februar 2010

Auf, auf und davon

Heute nacht zog ich aus. Ein LKW von Zapf fuhr vor, und kleine, runde Männer mit Glatzen schleppten schweigend und flink alles, was ich besaß, in den Wagen. Fröhlich lehnte ich vor der Tür an der Wand und zählte die Möbel und Kisten.

Alle um mich herum waren lustig mit mir. Frauen mit langem, wehenden Haar tanzten blumenbekränzt auf der Straße. In den Autos hupten fremde Leute und winkten mir zu. Gelb und rund wie ein Keks hing selbst die Sonne vergnügt in den Wolken, Kinder flogen auf und davon am unteren Ende der Seile von roten Ballons, und ich sebst verneigte mich wie ein Artist vor dem Haus und schwang mich schließlich ans Steuer.

Einhergeweht, mein Lieber

Dass man zu schnell lebt, denke ich mir, und sehe aus dem Fenster des Taxis in den Weinbergspark hinein, dem man nicht glaubt, wie warm er werden kann, im Juli, und wie flirrend und rot in der Hitze. Dass man immer ein paar Stunden langsamer ist als man selbst. Dass das Herz stets zu Fuß einhergeschlendert kommt, und nur die Glieder fliegen und fahren so eilig durch die Welt, als sei das zu irgendwas gut: Mittwoch morgen also nach Essen. Zwei Tage am Stück im Kunstlicht gesprochen und mich selbst aufgeführt in einer mittelmäßigen Inszenierung. Das Bühnenbild etwas absurd. Donnerstag abend zurück nach Berlin.

Donnerstag um neun dann am Hauptbahnhof ins Taxi, vom Taxi heim. Umgezogen, losgelaufen, im Klub der Republik Anselm Neft zugehört und trotz Müdigkeit und Schwere gelacht. Mir vorgenommen, viel Werbung für Anselms Buch zu machen. Zu viel Sekt getrunken und darauf gewartet, dass die Verlangsamung eintritt, die mit Sekt einzuhergehen pflegt, dass sich die Muskeln endlich lockern, und die Welt weich wird und warm. Meine Ankunft in mir erwartet wie man auf Züge wartet, bisweilen, in denen Menschen sitzen, die man mag. Auf der Damentoilette gestanden und mich angesehen und mich fremd gefühlt in meiner Haut. Ich hätte vielleicht nicht viel für mich über, träfe ich mich an der Bar.

Menschen getroffen, die ich mag, und andere, die ich vielleicht mögen würde, würde ich sie kennen. Irgendetwas gesprochen und sofort alles vergessen. Viel zu spät heim und Freitag entsetzlich müde. Gekocht, zu zweit, und früh zu Bett.

Am Samstag wieder zum Tierarzt. In Mitte fast einen Hosenanzug gekauft, und dann ganz froh gewesen, dass er nicht passte. In Hosenanzügen, das weiß ich, sehe ich aus wie ein Mann. Im YamYam in Mitte gegessen. Im Deutschen Theater Nina Hoss beim Verrücktwerden zugeschaut und hingerissen gewesen von soviel Kunst. Mit dem W., dem N. und dem J. in Rutz Weinbar gesessen, einen Grauburgunder, einen Bordeaux und einen Saumagenburger bestellt, und zu Fuß durch den Schnee bis nach Hause. "Ich bin noch nicht da", gedacht. Die Stiefel ausgestopft mit Papier. Mit den Händen die Arme umfasst und gedrückt und sich gefragt, ob wohl andere Leute so ganz identisch mit sich durch die Straßen der Stadt spazieren, und ob das, was die anderen in Spiegeln sehen, von ihnen bewohnt und ausgefüllt wird, als seien sie wirklich das, wovon die Kleider scheinen und nicht irgendwo anders oder gar: Nicht ganz sie selbst.

Dienstag, 9. Februar 2010

Sonntag, 07.02.2010

Die Elbe ist schwarz. Irgendwo auf der anderen Seite des Flusses ziehen einsame Lichter weit ausgreifend Kreise durch die eisige Nacht.

Im Abteil aber ist die Luft abgestanden und warm. Neben mir lehnt die J. am Fenster in leichtem, schreckhaften Schlaf. Wir sind kurz vor Bad Schandau. Ein blondes, pausbackiges Mädchen liest der J. gegenüber einen historischen Roman, der schlecht aussieht, grob, bunt und billig, und ein kleiner Junge füllt Sudoku-Quadrate aus und sieht mich gelegentlich ernst und etwas abweisend an. Schöne Augen hat er, fällt mir auf, und ich lächele ihn an, und bedächtig, langsam und mit einer Würde, die älter scheint als er, senkt er den Kopf, um ihn wieder zu heben, und schaut mir prüfend einen Moment in die Augen und nickt.



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