Donnerstag, 1. Juli 2010

Meine Katze

Die Treppen hochgelaufen, einen Schlüssel nach dem anderen in die Hand genommen. Die Tür geöffnet. Vollgesogen mit Wärme, den Geschmack von Sekt und Sherry. Gelächter im Ohr.

Die Tür weit geöffnet. Die stickige Luft hängt schwer auf den Dielen. Nach der Katze Ausschau gehalten, unwillkürlich. Die Augen geschlossen, um die Katze nicht nicht zu sehen.

Doch keine schwarze Katze kommt um die Ecke. Keine schwarze Katze maunzt. Niemand wirft sich vor mir auf die Dielen. Niemand schreit nach meiner streichelnden Hand. Ein bißchen Futter verlangt nur der Kater. Niemand antwortet mehr, wenn ich rufe, und niemals mehr rufe ich die Katze beim Namen. Die Katze ist tot.

Montag, 28. Juni 2010

Am See

Aber die ganze Zeit bist du nur in Berlin, ausgeschlagen mit Asphalt und Benzin, um dich herum klingeln Telephone, und nachts rattert irgendwo etwas immer weiter. Vielleicht bist das du.

Doch eine Stunde entfernt nur rauschen die Bäume. Schilf drängt sich zwischen Felder, Wiesen und See. Tief hängen die Äste der Weiden ins Wasser. Im Abendlicht spielen Mücken am Ufer. Kein Mensch ist zu sehen.

So viel höher scheint dir der Himmel und blauer als blau. Dass es wirklich Störche gibt, dass Rehe die Wälder duchstreifen, dass in alten Parks die Bäume Schatten werfen, erscheint dir unfassbar, und wenn die Vögel zur Nacht ihre Nester anfliegen, ist dir, als kämest auch du einmal nach Haus.

Donnerstag, 24. Juni 2010

Strahlende Maikäfer, rosenfingrige Götter

Kaspar Schnetzler, Das Gute

Die Schweiz, hört man immer wieder, sei lange nicht so langweilig, wie man landläufig glaubt. Wieso dem so sein sollte, habe ich allerdings vergessen, und wenn die Schweiz in den hundert Jahren von 1912 bis 2012, die dieser Roman des zu Recht ziemlich unbekannten Kaspar Schnetzler, eines 1942 geborenen Züricher Rentners, umfasst, auch nur annähernd zutreffend abgebildet sein sollte, hat auch in dieser Frage der Volksmund recht: Dieses Buch ist langweilig. Es ist aber nicht nur fade. Es ist auch unfassbar schlecht.

Gegenstand der selbst in der Taschenbuchausgabe 552 Seiten fetten Chronik der Züricher Familien Gerber und Frauenlob sind vier Generationen, die nicht unähnlich der Vorgehensweise in didaktisch sehr bemühten Kinderbüchern alles erleben, was der Autor für charakteristisch für die jeweiige Epoche in der Schweiz hält: Die Begeisterung für den deutschen Kaiser. Der Schweizer Nationalstolz und die besondere Beziehung zu den Schweizer Selbstverteidigungsorganen. Die Spanische Grippe. Ein gewisses Sektierertum in Freikirchen (hier der Christian Science), der soziale, wenn auch überschaubare Aufstieg aus dem Kleinbürgertum und die Auswanderung einzelner Familienteile in die USA und Deutschland. Irgendwann wird auch ein Familienmitglied in politische Unruhen verwickelt, verfällt den Drogen, man wird wunderlich, gebiert und stirbt, und ja: Das ist exakt so frei von jeglicher Überraschung, wie es sich anhört.

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Krankenkatze

Am Donnerstag vor zwei Wochen ist die Katze schwach. Den ganzen Tag liegt sie in der Dusche, hebt kaum den Kopf und sagt weder miez noch mau. Die Katze ist krank. Am Freitag wird es nicht besser, am Wochenende schleppt sich die Katze mühsam durch die Wohnung, und am Montag wuchte ich acht Kilo Katze zum Tierarzt. "Armes Kätzchen!", sagen die Passanten und nicken mitfühlend mit dem Kopf. "Kann ich die streicheln oder ist die ansteckend?", fragt ein kleines Mädchen und steckt einen Finger durch die Gittertür des Katzenkorbs.

Der Tierarzt findet nichts. Die Woche über aber wird die Katze immer schwächer, und am Freitag geht de geschätzte Gefährte wieder zum Tierarzt. Die Katze macht inzwischen eine völlig apathischen Eindruck. Sie frisst nichts mehr, sie trinkt nicht mehr, sie haart, als wolle die Katze auf der Stelle Skinhead werden, und verkriecht sich unterm Sofa. Die Vertretungstierärztin stellt fest: Die Katze ist richtig krank. Die Katze hat es an den Nieren.

In den nächsten Tagen wird die Katze durchgespült. Die Katze bekommt Infusionen, Mittel und Mittelchen, ernsthafte Medikamente und homoöpathische Spritzen, und Dienstag wird wieder ordentlich gefressen. Die Katze haut rein, als gebe es kein Morgen.

Heute morgen ist die Katze wieder ganz die alte. Morgens maunzt sie um 5.27 vor dem Bett. Beim Tierarzt macht sie Geräusche wie diese afrikanischen Fußballbegeisterungströten, und als ich abends heimkomme, flitzt die Katze zwischen meinen Beinen hindurch ins Treppenhaus und wird erst dort wieder eingefangen.

Dauerhaft fürs Erste müsse die Katze behandelt werden, sagt der Tierarzt. Freitag werde ich eingewiesen in die Kunst des Spritzen-Gebens bei Katzen, und zufrieden, scheint mir, sitzt die Katze auf einem karierten, dicken Kissen neben meinem Bett und schaut wohlgefällig in die Gegend, als halte sie den Aufwand für die Haltung einer Katze für ganz genau richtig und wohlgetan, wenn nicht sogar für völlig selbstverständlich.

Sonntag, 20. Juni 2010

Hinter der Wand

Auf der anderen Seite der Wand sitzen Kannibalen. Heimlich haben sie sich ins Hotel geschlichen, gebückt durchs Treppenhaus, an die Wand gedrückt im zugigen Flur, schnell durch die Tür und lange, lange im Schatten einer Nische gelauert. Kaum geatmet. In der Dämmerung haben sie die angelehnte Tür des Zimmers 304 mit weich bestrumpftem Fuße aufgestoßen. Auf dem Boden robbend, aufgelehnt auf die Unterarme sind sie in den Raum gekrochen, haben unter dem Bett gewartet, stundenlang, bis das Licht ausging und es ruhig wurde im Raum. Atemzüge bloß, ein leises Röcheln, ein Seufzen im Traum.

Eine Hand, dann eine zweite auf der grauen Auslegeware. Ein magerer, haarlos entfleischter Kopf. Eine schnelle, kaum menschliche, wieselflinke Bewegung, ein Sprung, ein Schrei, spritzendes Blut und große, blanke, spitze Zähne und ein schwarzes Loch in der Mitte. Dann wieder Ruhe.

Im offenen Brustkorb sitzen die Kannibalen und teilen sich die erkaltende Leber. Mit einem Ohr an der Wand lauert der Erste auf Nachbarn, ein zweiter winkt ab: Noch ist es zu früh. Entspannt, grinsend, mit baumelnden Beinen am Schreibtisch sitzt der Dritte und zappt durch die wechselnden Sender. Dann schläft er ein.

"Später ...", rülpst der Erste zum Zweiten. Und: Give me five. Von innen verriegelt der Zweite die Tür, deutet auf die Wand mit seinen blutigen Fingern und öffnet ein paarmal freudig das Maul. Alle drei nicken.

Ich aber stehe zum zweiten Mal auf, drehe den Schlüssel fester ins Schloss und stelle den Koffer vors Fenster.

Mittwoch, 16. Juni 2010

Ja geht so

Schlecht wäre eine unzutreffende Zustandsbeschreibung, aber gut wäre gelogen. Geht so trifft es halbwegs, auch wenn ich gar nichts sagen könnte, weshalb, immerhin habe ich frei, diese Woche, also was nun .... aber sehen Sie selbst:

Zunächst erzählt mir der Tierarzt für 79 Euro, dass meine Katze zu fett sei und Bluthochdruck habe. Um das herauszufinden, wickelt er dem armen Tier eine Manschette um den Schwanz, die Manschette bläst sich auf, und auf dem Laptop erscheint die Kreislauftätigkeit meiner schwarzen, nur ganz leicht übergewichtigen Katze, die sichtbar unglücklich auf dem Behandlungstisch sitzt. Ich kann das gut verstehen. Ich höre auch nicht gern, dass ich zu dick geworden bin. Tatsächlich habe ich im Zuge meiner Zigarettenminimierung zu Anfang des Jahres drei Kilo zugenommen, die nun nicht wieder verschwinden wollen, auch wenn ich abends meistens Salat esse oder eine Suppe, die mir kalorienarm erscheint. Ich fühle mich wie eine Qualle.

Unwesentlich später ruft meine Tante an. Meine Tante meldet sich eigentlich immer nur, wenn irgendetwas nicht so gut gelaufen ist, diesmal geht es um einen Reisemangel, ein Flug ist verschoben worden, und meine Auskunft, dagegen könne man aus meiner Sicht nicht viel tun, wird dreimal hintereinander als höchst unzureichend bezeichnet. Das könne doch nicht sein. Ich rede ihr aus, die Lufthansa zu verklagen, dann lege ich auf. Minuten später klingelt ein Mann, der mich für eine Religionsgemeinschaft zu gewinnen sucht. Ich gehöre keiner solchen Vereinigung an, ich interessiere mich nicht so für transzendente Angelegenheiten, aber der Mann beharrt darauf, es sei wichtig. Ich öffne die Tür trotzdem nicht. Ich fühle mich müde.

Um das Quallenproblem zu bewältigen, mache ich mir einen Salat. Leider gerät etwas viel Essig in die Schüssel, der Salat schmeckt eigentlich nur sauer, aber etwas anderes ist nicht da. Die Tiefkühltruhe muss ich abtauen, fällt mir auf, aber dazu habe ich keine Lust.

Später fahre ich erst zu Dussmann und dann nach Kreuzberg. Bei Dussmann schlängele ich mich vorbei an Massen von Büchern, deren Autoren sich in fettgedruckter Empörung üben. Auf nahezu jedem Titel werden "wir" ausgenommen, für dumm verkauft, müssen für irgendwelche anderen Leute zahlen, die als dumm, verkommen, gierig oder in sonstiger Weise unangenehm geschildert werden. Es scheint einen riesigen Markt für selbstgerechte Frustration zu geben, und ich schaue mich interessiert und etwas angewidert um, wer nach diesen Machwerken greift. Aus irgendwelchen Gründen, vermutlich haltlosen Vorurteilen, nehme ich stets an, die Käufer seien männlich und wählen FDP. Ich selbst kaufe einen Nabokov und Kurzgeschichten von Henry Miller.

Irgendwann sitze ich in Kreuzberg und helfe einer Bekannten beim Verfassen von Schriftstücken zur Geltendmachung von Ansprüchen gegen ihren ehemaligen Freund. Im Hintergrund brüllt sonor und nicht unähnlich diesen afrikanischen Tröten ihr Säugling, nach einer Weile bekomme ich Kopfschmerzen, also so einen leichten Druck auf den Schläfen, und irgendwann haue ich sehr erleichtert ab und fahre zum Paul-Lincke-Ufer.

Am Landwehrkanal sitzen schon liebe Freunde und trinken Bier. Nett ist es, schön so zu sitzen am Wasser, noch schöner, dass hier nirgendwo Fußball läuft, zumindest nicht so, dass ich es sehe, und so unterhalte ich mich einige Stunden angenehm und entspannt, lache, esse einen riesigen Thunfischsalat, der vermutlch allein schon qua Größe so kalorienreich ist wie ein Whopper, bis ich irgendwann anfange zu frieren. Das letzte Mal habe ich so im Winter gefroren. Ich habe drastisch zu wenig an. Stunden später werde ich daheim zwanzig Minuten sehr heiß duschen, solange, so bis meine Fingerkuppen tiefe Rillen aufweisen, und erst aufhören, als das Telefon klingelt, dass ich selbstverständlich nicht mehr rechtzeitig finde, bevor der Anrufer aufgibt, aber dafür in eine Lache Erbrochenes trete, das meine Katze vermutlich aus Vergeltungserwägungen direkt vor mein Bett plaziert hat.

Meine Orchidee hat sie auch vom Fensterbrett geholt und sitzt zufrieden schnurrend inmitten von Wurzeln und Erde.



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